Amerikareise 2001 - Kapitel 11: Vergangenheit oder Gegenwart?

Eine Autostunde entfernt von downtown Milwaukee finde ich mich in der Old World Wisconsin wieder, einem Museum, das lebende Geschichte präsentiert. Zwischen 1880 und 1900 sind in Wisconsin verschiedene Volksgruppen eingewandert, die zunächst einmal jede ihren eigenen Baustil, ihre landwirtschaftlichen Traditionen und Kultur mitgebracht hat. Das wird in verschiedenen Ecken des riesigen Geländes dargestellt. An den Deutschen und Polen vorbei sind die Finnen angesiedelt. Und? Natürlich, das erste Gebäude, an dem man vorbeikommt ist die Sauna. So gehört sich das. Im Inneren des Haupthauses sind diverse Handelswaren ausgestellt, und ein Gerät, dem zumindest ich nie angesehen hätte, wozu es dient. 

Ich lasse mir sagen, es würde dazu benutzt, die Buttermilch von der Butter zu trennen. Wieder was dazugelernt. In den einzelnen Häusern, die aus den verschiedensten Ecken von Wisconsin nach Eagle gebracht wurden, erklären Damen und Herren in Tracht, was es mit dem Haus auf sich hat. Beim nächsten finnischen Haus bekomme ich gerade die Vorteile des hochmodernen Ofens mit Warmhaltefach oben am Kamin und Warmwasserbereiter rechts vorne geschildert.

Auf dem Weg zu den Norwegern (den ich als guter Deutscher natürlich zu Fuß zurücklege - oder war ich nur zu geizig für die Lkw-"Bimmelbahn"?) fällt mir zum ersten mal eine Gruppe von Leuten auf, die ich zuerst für Mitarbeiter des lebenden Museums halte. Als sie aussteigen, wird aber schnell klar: das sind Besucher!

Die Frauen alle mit Haube oder Kopftuch, die Männer in schwarzen Jacken, mit großen runden Hüten und Bärten - das müssen Amish People sein. Gelesen und gehört habe ich ja schon von ihnen, aber so live in Farbe? Das Lexikon sagt: gegen Ende des 17. Jahrhunderts von den Mennoniten abgespaltene Gruppe, benannt nach ihrem Bischof Jacob Amann, achten bis heute mit großer Strenge auf die Bewahrung der traditionellen Werte, lehnen die Benutztung moderner Technik rigoros ab. Und jetzt fahren sie in einer benzingetriebenen Bimmelbahn? Da gerät ja mein Weltbild ins wanken. So direkt mit der Kamera draufhalten möchte ich natürlich dann doch nicht, und dauerndes hinstarren verkneife ich mir möglichst auch. 

Richtig lustig wird es dann in der Schule. Eigentlich sollte die Dame erklären, dass es eben nur einen Schulraum gab, in dem alle Altersstufen unterrichtet wurden, wer dafür bezahlt hat usw. Die gute Frau baut das aber aus, indem sie die hereingekommenen Amish-Herren (mit Hut auf) fragt, ob sie denn nichts vergessen hätten. Die setzen sofort den Hut ab und entschuldigen sich wortreich. Wie aus dem Drehbuch mit original-Kostüm. Dann fragt sie eines der schüchternen Mädels etwas. Es antwortet mit zwei-drei Worten. Die "Lehrerin" erklärt, wir sollten doch bitte im ganzen Satz antworten. Leises gackern in den Schulbänken rundrum, ich kann mir lautes Lachen nur knapp verkneifen. Kritisch wird es, als sie eines der Mädchen fragt, ob es denn in der Schule war. Zumindest mir ist klar, dass sie die zweite Hälfte des Satzes "... ihr geht doch in die Schule, oder?" unausgesprochen herunterschluckt. Später, als die Mitarbeiter des Museums Feierabend machen, komme ich nochmal ins Gespräch mit ihr. Sie sagt, üblicherweise würde sie sowas sagen wie 'damals sei man eben sehr rückständig gewesen, es habe natürlich noch keinen Schulbus, kein fließendes Wasser und keinen elektrischen Strom gegeben', was sie sich aber diesmal verkniffen habe.

Beim weiteren Rundgang treffe ich auf ein Mädel, das ein Yankee-Haus betreut und im Sommer nach Italien auswandert. Wir haben uns angeregt unterhalten, dabei kommt die Sprache natürlich auch auf die "Besucher". Wir stellen uns gemeinsam die Frage, wie es bei diesen Leuten zu Hause aussieht und ob es da massive Unterschiede zum Museum gibt. Das hätte mich interessiert, mehr zu erfahren.