Amerikareise 2001 - Kapitel 14: Von der Vergangenheit eingeholt

(Toronto, Teil 1)

Diese Fahrt ist rekordverdächtig! Mit dem Auto habe ich die Strecke Detroit - Windsor - Dresden - Melbourne - London - Paris - Delhi - Toronto an nur einem Tag zurückgelegt. Nicht schlecht, oder? Da kann ich über Jules Verne und seine 60 Tage doch nur lachen. Die Vermutung, dass da jeder Einwanderer seine neue Stadt nach der alten benannt hat, liegt nahe. Wenn Marianne und Tony etwas früher gekommen wären, würde Toronto jetzt also entweder Amsterdam oder New London heißen. 

 

Die zwei sind alte Freunde unserer Familie. Mein Vater hat anno 1969 als Ferienjob LKWs gefahren. Da hat er im strömenden Regen in München ein Pärchen auf Hochzeitsreise aufgeladen: Marianne (Holländerin) und Tony (very british). Ich habe sie 1991 schon mal besucht, da haben sie noch in downtown Toronto gewohnt (und Tony hatte noch wesentlich mehr Haare oben auf und vorne am Kopf). Sehr erstaunt bin ich, als ich Adam the cat wiedersehe, inzwischen 18 Jahre alt und ziemlich blind.

Noch erstaunter bin ich, als Marianne die Fotoalben auspackt, die sie inzwischen mal sortiert hat. Da finden sich unter anderem die folgenden Bilder, aufgenommen im Sommer 1969 im Schwetzinger Schlossgarten. So wird man schlagartig in seine eigene Vergangenheit zurückversetzt. Übrigens, wer ihn nicht (er-)kennt, der Herr im linken Bild ist mein Papa - wer der Hauptdarsteller ist, muss ich ja wohl nicht gesondert erwähnen, oder?

 

Die nächsten zwei Nächte diskutiere ich mit Tony bis 2 Uhr morgens über die Europäische Union und Großbritannien, seine Familiengeschichte, den Sinn des Lebens und Gott und die Welt. Als ob jemand in meiner eingefahrenen Gedankenstruktur mal schnell ein Fenster geöffnet hat zum lüften, genial. Natürlich geht es auch ums Rauchen. Dass Tony auf dem Bild gerade raucht, war kaum zu vermeiden, er raucht ständig, auch während dem Essen usw. Dabei bemühen sich die Kanadier doch kräftig, den Rauchern ihre Sucht zu vermiesen. Die Vorderseite einer Zigarettenschachtel ist immer zur Hälfte mit abwechselnden illustrierten Warnungen geschmückt. Wer z.B. seinen Lungenkrebs schon mal vorher betrachten möchte ...

Im Gegenzug dazu wird öffentlich Werbung für Milch gemacht. Auch das finde ich natürlich ziemlich sympathisch. Obwohl man über den künstlerischen Wert einer Kuh im Milchbeutelkanu natürlich streiten kann ...

Nachdem ich Marianne und Tony lange genug auf die Nerven gegangen bin, bewege ich mein Auto Luftlinie einen Kilometer nach Osten, um aus dem Ikea-Bett auf eine kurze, aber dafür breite Schlafcouch umzuziehen. Sie steht im Keller des Häuschens von Laurence und Larry.

Schnuckelig, und - wie üblich - immer noch im Ausbau begriffen. Larry habe ich kennengelernt, als er als Austauschstudent für ein Semester in Mannheim war (1992?). Damals hat er noch in einem Ort namens Elm Creek, Manitoba gewohnt. Wir sind damals mit noch ein paar Leuten in Berlin gewesen und haben dann kurzerhand den Sacherer'schen roten VW-Bus geschnappt und eine Runde um die Iberische Halbinsel gedreht. Auf dem Rückweg haben wir in Tours (Frankreich) gehalten, wo eine andere Austauschstudentin namens Laurence zu Hause war. Inzwischen haben die beiden geheiratet und Larry arbeitet als Rechtsanwalt in Toronto. Wie die Zeit vergeht. Auch hier habe ich Bilder von mir gesehen, wie wir in Berlin an den letzten Resten der Mauer stehen, die es wohl heute auch nicht mehr gibt.

Auf dem Programm stehen neben Rasen mähen, Blumen gießen und Erdbeeren pflücken auch Touren zum Science Center und zum Essen in Chinatown (siehe oben). Außerdem bekomme ich Austin Powers zu sehen. Das ist ein ziemlich übler James-Bond-Verschnitt, der in Amerika Kultstatus hat (und von dem ich Banause vorher noch nie was gehört habe). Also eine Bildungslücke gefüllt. Und noch was wirklich lustiges habe ich gesehen: eine Sendung namens "talking to Americans". Da interviewen kanadische Fernsehleute Amerikaner auf der Straße. Sie sammeln z.B. Unterschriften gegen die Robbenjagd in Saskatchewan (eine kanadische Provinz, die dummerweise gar keine Küste hat). Oder sie fragen Leute in Florida, ob sie es gut fänden, dass Kanada jetzt eine eigene Navy einrichtet, wo sie doch gar keine Küsten hätten. Da antworten die Leute, das fänden sie gut, und selbstverständlich könnten die Freunde aus Kanada gerne US-Amerikanische Häfen benutzen (Randbemerkung: Kanada hat mehr als doppelt soviel Küste wie die USA). Oder wir hätten da den Gouverneur von Iowa, der vor laufender Kamera den Kanadiern zur Umstellung vom 20-Stunden-Tag auf den 24-Stunden-Tag gratuliert. Oder die Leute, die es gut finden, dass die US-Regierung jetzt den Diktatoren in Tschetschenien und Saskatchewan mit dem Abwurf von Bomben droht. Ich habe eine halbe Stunde lang nur gelacht.

Da stehen sie also, vlnr Lynnette (Larrys Schwester), Laurence und Larry. Und weil in Euren mails immer mal wieder vermutet wird, ich würde nur Postkarten einscannen und wäre gar nicht selbst da: hier ist ein Foto im Japaner-Stil: Die wunderschöne Marina von Scarborough und ich - extrem fotogen, wie üblich :-(