Amerikareise 2001 - Kapitel 15: Von Legenden und Rohrbrüchen

(Toronto, Teil 2)

Wie schon gesagt, war ich vor 10 Jahren schon mal mit meinem Brüderchen in Toronto. In der Zwischenzeit hat sich da allerdings doch einiges verändert, oder ich hab's schon wieder vergessen - auch nicht unwahrscheinlich.

Beim ersten Ausflug an die Harbourfront mit Marianne und Tony habe ich schon mal für mich beschlossen, dass ich nicht bereit bin, für 2 Stunden parken 15 DM zu bezahlen. Der Schotte in mir steuert also auf den Clarke Beach zu, wo ich gratis parke und erst mal meine Füße in den Ontariosee stecke. Gar nicht mal so kalt. Dann schnappe ich mein Fahrrad und fahre am Hafen entlang nach downtown. Sieht doch gar nicht so schlecht aus, von hier ...

Irgendwie sehen die alten "Relikte" immer etwas verloren aus vor den Hochhausriesen im Hintergrund.

Die Orientierung fällt nicht schwer, ich steuere immer auf den kleinen Turm da zu. Von untendrunter sieht er dann gar nicht mehr sooo klein aus. Wie es sich das für das höchste Bauwerk der Welt eben gehört.

Ungeschickterweise hat der Bürgermeister von Toronto ausgerechnet den heutigen Tag zur Feier des 25jährigen Geburtstags dieses Bauwerks zum CN Tower Day erklärt. Das bedeutet, alle Kanadier können für 5 $ hochfahren, und die doofen Touristen dürfen erst mal eine halbe Stunde Schlange stehen, bis sie der Aufzug mit 11 Metern pro Sekunde auf 447 Meter Höhe transportiert.

Die Sicht ist leider nicht sehr überragend (Schönwettersmog). Dazu kommen massenhaft Japaner um mich herum (oder sollte ich sagen unter mir?), die mir mit ihrem Geknipse - hihihi - gewaltig auf die Nerven fallen. Wenn da nicht noch weiter unter mir etwas wäre, was mir mehr zusagt:

Draußen auf der offenen Aussichtsplattform hat man die Nationalhymnen gehört. Und mit dem Fernglas sieht man sogar den runner auf dem Weg zur zweiten Base. Aber so ganz bekommt man aus der Entfernung doch nicht mit, was da abgeht. Ich muss wohl morgen etwas näher ran...

Mein letzter Besuch in Toronto 1991 war natürlich genau an 5 Tagen ohne ein einziges Baseball-Heimspiel. Diesmal haben es die Blue Jays besser gemeint und gleich 7 Heimspiele in Folge angesetzt. Da sie heutzutage Lichtjahre von den damaligen World Series-Siegen entfernt sind, ist das mit den Tickets auch kein Problem. Für das erste Spiel gegen die Baltimore Orioles habe ich mir auf dem Schwarzmarkt vor dem Stadion einen Platz in der ersten Reihe, ein Stückchen hinter dem ersten Base erhandelt (für 30 DM, gar nicht schlecht). Und wie ich gerade so meinen Sitz gefunden habe und mir überlege, ob ich hier wohl einen Foulball fangen kann, bricht um mich herum das Chaos aus. Dabei machen sich da doch nur die Orioles warm. 

Mir kommt es so vor, als ob alle Zuschauer gleichzeitig Richtung Feld stürmen. Als ich mir den Spieler, der da gerade Autogramme gibt, etwas näher ansehe, erklärt sich das.

"Oh my God, it's him!" Cal Ripken jr., Rekordhalter mit den meisten Spielen am Stück, über 400 Homeruns und über 3000 Hits. Bis mir klar ist, dass ich vielleicht auch gerne ein Autogramm hätte, ist der Zug natürlich schon durch. Aber immerhin stand die "lebende Legende" mal direkt vor mir. Im Spiel hat er dann seinem batting average von knapp .200 mit 0 for 4 nicht gerade gut getan, aber es ist ja auch die letzte Saison. Und seine Orioles gewinnen gemütlich mit 8:2.

Der Weg nach Hause gestaltet sich leicht abenteuerlich. Erstmal radle ich also im Dunkeln ohne Licht (darauf hat Alldrive Canada großzügig verzichtet) am Hafen entlang zurück zu meinem Auto. Obwohl es inzwischen schon nach 22 Uhr ist, bin ich schweißgebadet, trotz Fahrtwind ist es nämlich noch verflixt warm! Kurz vor dem Parkplatz fahre ich dann einen Randstein runter und habe plötzlich so ein eigenartiges Gefühl zwischen den Beinen. Bei näherem Hinsehen wird mir klar, warum:

Heinz von Alldrive meint, ich wäre eben zu fett (er hat es freundlicher formuliert, natürlich). Ich würde verständlicherweise eher dazu tendieren, zu sagen, das Material dieses Billigrads taugt halt nix. Jedenfalls bin ich am nächsten Tag bei reichlich Hitze dabei, ein Ersatzrohr einzubauen. Da die Schraube komplett festgerostet ist, muss sie erst mal mit sanfter Gewalt überzeugt (sprich: abgebrochen) werden. Bei der neuen Schraube kann ich wählen: Zoll-Gewinde, metrisches Gewinde mit 1 mm Abstand oder mit 1,5 mm Abstand. Wie langweilig, dass es bei uns einfach nur eine Norm gibt.

Wie auf dem Stadionbild oben zu sehen, ist der Skydome nicht ganz so ausverkauft gewesen wie das Safeco Field in Seattle. Da das bei Fernsehübertragungen natürlich immer schlecht aussieht, hat jeder Zuschauer einen gratis-Gutschein für einen billigen Sitzplatz für ein Heimspiel der Serie gegen die Boston Red Sox bekommen. Das muss ich natürlich ausnutzen und stehe mit Lynn und ziemlich vielen anderen Leuten erst mal eine Dreiviertelstunde in der Schlange vor dem Kassenhäuschen, um den Gutschein in ein Ticket zu tauschen. Drinnen drücken sie uns übrigens gleich wieder einen neuen Gutschein in die Hand. Gerade noch pünktlich zum Spiel sind wir oben unter dem heute geschlossenen Dach angekommen.

Die Jays verlieren mit 0:5, ohne irgendwann eine Chance gehabt zu haben. So kann man Zuschauer natürlich nicht von den Sitzen reißen. Übrigens: nicht alle Spieler der Blue Jays heißen heute plötzlich "Canada". Nein, das Spiel findet am 1. Juli statt, das ist Canada Day. Wir feiern den 134. Geburtstag Kanadas mit einem "Happy Birthday"-Ständchen. 

Da wir ja noch lernfähig sind, haben wir uns gleich nach dem Spiel in die Schlange gestellt, um die neuen Gutscheine in Tickets für das nächste Spiel zu tauschen. Diesmal ist das Dach wieder offen, wir sitzen oben im Leftfield in der Sonne. Für Boston pitcht Hideo Nomo. Diese komische Wurfbewegung sieht in natura gar nicht mal so eigenartig aus wie im Fernsehen, noch dazu zeigt er sie nur im Windup. Die Blue Jays verlieren rekordverdächtig mit 4:16 und verbrauchen dabei 6 Pitcher. Der starting Pitcher durfte nach 27 Würfen und einem ganzen Aus duschen gehen. Bei 5 Runs ist das ein ERA von 135.0 – gar nicht schlecht! Die Zuschauer sind verständlicherweise nicht übermäßig begeistert. Also probieren es die Blue Jays hinterher mit einem Feuerwerk. Da das bei strahlendem Sonnenschein nicht so gut ankommt, dürfen wir nach dem Spiel erst mal bewundern, wie sich über uns der Himmel schließt. Das ist nun wieder durchaus sehenswert.

Mit dem geschlossenen Dach sind dem Feuerwerk natürlich gewisse Grenzen gesetzt, also kein Vergleich zu Detroit. An sich macht es sich aber gar nicht schlecht, vor allem wenn man das Sprichwort mit dem geschenkten Gaul im Hinterkopf behält.