Amerikareise 2001 - Special (26): Auf Bärenjagd

Also, natürlich stellt man es sich als Alaska-Anfänger so vor, dass es die Bären aus dem Zoo hier irgendwo in der Wildnis geben muss. Sagt zumindest der Reiseführer. Und der fügt auch gleich an, dass man vorsichtig sein soll, weil Bären notfalls auch Menschen anknabbern - nicht oft, aber wer möchte schon gerne deshalb in die Zeitung? Einziges Problem: weit und breit ist kein Bär zu sehen.

Stufe 2: im Nationalpark stehen Mülleimer, die mehr an einen Tresor als an einen Abfallbehälter erinnern. Bären haben nämlich menschliche Essensreste aber auch Zahnpasta usw. zum fressen gern. Und dann ist da der erste Campingplatz für Zelte und Zeltanhänger gesperrt, wegen akuter Bärengefahr. Meine Kiste ist rundrum hart, das wird als sicher erachtet, ich darf rein. Zur Abschreckung hängen sie Bilder auf, die eine "sanft" geöffnete Kühlbox oder einen Bären auf dem Beifahrersitz eines Autos zeigen. Aber so richtig real ist das alles noch nicht, und aus dem Nationalpark bin ich ja nun wieder raus. Hier gibt es sicher keine Bären. 

Dritter Schritt: Auf einem einsamen Highway nordwärts steht etwas am Straßenrand, das wie ein Bär aussieht. Nee - doch - wirklich? - ja! Bis sich die Idee in meinem Kopf festgesetzt hat, dauert es einen Moment. Aber dann:

  1. Nach hinten in den Rückspiegel sehen: alles frei.

  2. Sanfte Vollbremsung. Dem Bären bin ich vorläufig noch völlig egal, er grast eifrig weiter.

  3. Fenster runterfahren. Das geht glücklicherweise automatisch, wenn man den Knopf einmal gedrückt hat.

  4. gleichzeitig: Sonnenbrille absetzen und irgendwo hinwerfen, möglichst so, dass sie unzerkratzt überlebt.

  5. gleichzeitig: Griff in die Fototasche, die neben mir auf dem Sitz steht. Derweil steht das Auto 60 Meter vom Bären entfernt, der schon die Ohren spitzt.

  6. Deckel runter und Foto einschalten. Bis die Kamera "aufgewacht" ist, den richtigen Modus gefunden und den Sucher aktiviert hat, dauert bei Wasserfällen oder Blumen etwa 8 Sekunden, bei Passanten oder Fahrzeugen etwa 30 Sekunden und bei Bären und anderen Tieren mindestens eine Minute. In der Zwischenzeit schaue ich noch mal nach hinten: immer noch keiner da.

  7. Tele ausfahren. Zeitbedarf siehe Einschalten. Derweil bleibt der Bär brav sitzen und schaut mich in perfekter Fotostellung an, nach dem Motto: Knips mich!

  8. Warten, bis der Autofocus scharf gestellt hat (steht auf „sport“), Zeitbedarf etwa wie beim Einschalten.

  9. Dann endlich: Knips. Als ich abdrücke, hat sich der Bär natürlich schon wieder gelangweilt dem Futtern zugewandt. Die Kamera glaubt, es würde mich interessieren, wie das Bild geworden ist und zeigt es mir eine Ewigkeit (ca. 2 Sekunden) lang, während sie es auf der Karte speichert. Das könnte man natürlich in irgendeinem Menü abstellen ...

  10. Ich stehe nach wie vor halb auf dem Highway, und obwohl seit einer halben Stunde kein Mensch zu sehen war, kommt natürlich genau jetzt von hinten ein Truck. Also schnell so weit wie möglich nach rechts an den Straßenrand manövriert. Derweil schaut mich der Bär fragend an. Was soll denn das?

  11. Bis ich wieder draufhalte und der liebe Autofocus beschlossen hat, was er für scharf hält, geht der Bär natürlich wieder seinen Geschäften nach (und das Bild ist trotzdem unscharf).


  12. Diverse Flüche verlassen mich nur sehr gedämpft, man möchte das Tier ja nicht erschrecken.

  13. Ich verwende also eine List, stelle schon mal auf die leere Landschaft scharf und lasse den Finger auf dem halb gedrückten Abzug, bis ich fast einen Krampf bekomme. Inzwischen ist der Bär hinter den Pfosten einer Stromleitung gewandert, was natürlich nicht so klasse aussieht auf einem Ich-bin-mitten-in-der-Wildnis-Bild. Also Geduld!

  14. Als er drüben wieder raus kommt, muss ich neu scharf stellen. Jetzt findet die Kamera, die schönen grünen Gräser im Vordergrund seien wichtiger als dieser dunkle Pelzfleck hintendran und stellt auf das Gras scharf. Und ich habe mir doch tatsächlich vor dem Kamerakauf in einem Testbericht von www.digitalkamera.de einreden lassen, die standardmäßige Spot-Messung der Canon Pro90 sei veraltet.

  15. Der Bär schaut mich wieder an. Dummerweise unscharf bis verschwommen, schätzungsweise 6 Promille. Langsam geht mir der Vorrat an derben Flüchen aus.

  16. Bis ich meiner Kamera erzählt habe, sie soll statt Mehrfeld-Messung doch bittebitte per Spot-Messung scharf stellen (kann sie ja, will sie nur nicht), hat sich der Bär verständlicherweise wieder nahrhafterem zugewandt. Derweil fahren ungefähr so viele Autos an mir vorbei, wie ich die letzten 6 Stunden zusammen gesehen habe.

  17. Der Bär ist scharf gestellt, ohne Strommasten dazwischen, ich bin schussbereit! Das sieht dann auch der Bär ein und verschwindet im Unterholz, ohne sich noch mal umzusehen.


  18. Jetzt endlich darf ich lauthals fluchen, was mir gerade so einfällt. Und mir fällt einiges ein!

Entwicklungsstufe vier: Übung macht den Gesellen. Wenn man täglich mindestens einmal mit Karibus, Elchen oder Bären übt, werden die Bewegungen flüssiger und die Kamera gewöhnt sich an den Zeitdruck. So entstehen dann im Laufe der Zeit doch noch ordentliche Bilder, die man mit gutem Gewissen herzeigen kann. 

Phase fünf: eigentlich habe ich von jeder Spezies schon mindestens 20 Bilder gemacht - irgendwie muss ich die 10 mitgebrachten CDs ja füllen. Und trotzdem bin ich natürlich weiter auf der Jagd nach noch besseren Bildern, vielleicht ein Elch mit richtigem Geweih oder ausnahmsweise das Tier mal in der Sonne, mit gescheitem Hintergrund oder in die Kamera lächelnd. Ein Perfektionist hat's eben nicht leicht, aber es wird - Ihr werdet sehen.