Amerikareise 2001 - Kapitel 29: Schilder- und andere Wälder

Kennt Ihr den? Treffen sich der Alaska Highway (2237 km lang) und der Campbell Highway (600 km lang) zufällig an einer Kreuzung in Watson Lake ... Haha!

So ein Bisschen anders als die Kreuzung zwischen Kirchenstraße und Sackgasse ist das ja schon. Das Abbiegen hier hat so etwas von Endgültigkeit, wenn die nächste Kreuzung sechs oder sieben Stunden Fahrt entfernt ist. Zu Schildern haben sie hier übrigens ein besonderes Verhältnis, seit der Soldat Carl K. Lindley 1942 angefangen hat, einige an einen Pfahl zu nageln. Es nennt sich inzwischen signpost forest und wird als Attraktion überall angekündigt. Obwohl ich vorher gelesen hatte, dass bisher über 44.000 Schilder zusammengekommen sind, übersteigt das, was ich dann sehe, deutlich meine Erwartungen. Ich fürchte, die Ausmaße dieses Schilderwalds kann man in Bildern kaum darstellen, da muss man mal eine halbe Stunde herumgewandert sein. Trotzdem ein Versuch: ein 180 Grad-Schwenk sieht ungefähr so aus:

Dazu muss gesagt werden, dass es nach hinten raus noch ein ganzes Stück weitergeht und auch diese Bilder nur einen Bruchteil der tatsächlich aufgebauten Pfähle zeigen. Angenagelt finden sich hier Nummernschilder, Hinweisschilder, Ortsschilder und was sich die wildeste Phantasie noch so ausgedacht hat.

Einige Schilder sind nur gekritzelt, andere sind speziell für diesen Ort angefertigt worden, und wieder andere machen einen etwas geklauten Eindruck, vermitteln einem beim Ansehen aber ein gewisses Gefühl von Heimat: hier zeigt sich mal wieder, dass Kanada fest in deutscher Hand ist - oder habe ich vielleicht bevorzugt die gelben Schilder geknipst? Oder kommt außer den spinnenden Deutschen niemand auf die Idee, im Urlaub den Aufwand zu treiben, ein nicht gerade klein oder handlich zu nennendes Ortseingangsschild bis in den Yukon zu verfrachten?

Doch zurück zu besagter Kreuzung. Ich habe mir (in meinem jugendlichen Leichtsinn) vorgenommen, auf den Campbell Highway abzubiegen, um mal ein richtiges Abenteuer zu erleben - oder wenigstens um nachzuvollziehen, wie der Alaska Highway früher mal war. Die ersten 375 Kilometer bis Ross River sind nämlich komplett Erd- oder Schotterstraße ohne einen Ort oder gar eine Tankstelle unterwegs. Der Reiseführer rät, viel Zeit, Ersatzteile und Reservereifen mitzubringen - klingt etwas nach Paris-Dakar und erzeugt beim Alaska-Rookie durchaus einen gewissen Respekt. Gebraucht habe ich dann tatsächlich nur Zeit, und das auch sehr im Rahmen.

Im wirklichen Leben ist die Piste glatt und sehr angenehm zu fahren, zwecks Reifenschonung bremse ich mich allerdings bei etwa 60 km/h. Etwas einsamer als auf der "Heerstraße" Alaska Highway ist es durchaus, ich empfinde es allerdings als sehr angenehm, wenn nur alle Stunde ein Auto entgegenkommt. Und an der Stelle, wo ich mitten in der Straßenbaustelle (10 km üble Strecke, Schrittgeschwindigkeit ruft schon Mitleid mit den Reifen hervor) die zwei bergauf schiebenden Radfahrer überhole, bin ich mir endgültig sicher, dass ICH nicht das absolute Abenteuer erlebe.

Ansonsten bietet sich hier tatsächlich Weite und Einsamkeit wie aus dem Bilderbuch, möglicherweise von vielen Leuten auch als endlos langweilig interpretiert. Ich jedenfalls genieße es, auch wenn das Wetter nicht gerade warm und auch sonst eher durchwachsen ist.

Eine von zwei menschlichen Ansiedlungen entlang der 600 km langen Strecke ist Ross River. Der Erhaltungszustand des restlichen Ortes entspricht ungefähr dem dieser Begrüßung. Ein Wunder, dass in dieser verlassenen Gegend überhaupt noch jemand wohnen möchte. Die Zeiten, als Arbeiter und Material zu den Ölfeldern in Norman Wells transportiert wurden, sind lange vorbei (genau seit 1944). Als ich gegen 17:30 Uhr ankomme, hat der Laden, der auch Benzin verkaufen würde, bereits geschlossen. Auch die Fähre, die wirkliche Abenteurer über den Fluss setzt (um dann die alte Canol Road 232 km bis zur Grenze der Northwest Territories zu fahren) hat bereits Feierabend gemacht. 

Die Fußgängerbrücke nebenan ist übrigens tatsächlich so windschief wie sie aussieht. Sie ist an Stahlseilen aufgehängt, die sich mit der Zeit eben etwas verzogen haben. Das orangene am Flussufer ist die besagte Fähre. So ein Bisschen fühlt man sich hier schon wie am Ende der Welt. Mangels weiterer Attraktionen kehre ich zu Mr. Campbell zurück, der jetzt ein Stück asphaltiert ist - welch Luxus!

Unterwegs finden sich diverse Behausungen. In dieser Hütte haben wohl ursprünglich mal Trapper übernachtet, inzwischen hat das Dach doch einige Löcher, was in Anbetracht der reichlich vorhandenen Schnaken nicht ideal erscheint. Da würde sich doch ein Zelt anbieten - oder vielleicht gleich ein Wohnwagen? Schließen wir doch einen Kompromiss, einen Zeltwohnwagen!

Kommt mir nicht gerade geräumig vor, aber die Anschaffung war sicher günstig. Etwas fortschrittlicher, geringfügig teurer und sicher auch etwas schneller ist das folgende Fortbewegungsmittel. Da könnte man sich doch glatt überlegen, ob das Konto nicht noch über das nötige Kleingeld für ein Wochenendhäuschen am Lapie River verfügt. Wo der nächste Nachbar eine Autostunde entfernt wohnt und die Fische noch in Metern gemessen werden ...

Diesem und ähnlichen Gedanken hänge ich nach, als in Carmacks der Campbell Highway zu Ende und mein Tank leer ist. Zur Feier der Rückkehr "in die Zivilisation" gönne ich mir einen Burger und fettige, labbrige Kartoffelschnitze frisch aus der Friteuse (french fries genannt). Welch Errungenschaft! Den Namen hat dieser Ort übrigens von George Washington Carmack, der hier in den 1890ern einen Handelsposten eingerichtet hat. Diesem Herrn begegnen wir gleich noch mal. Ach ja, ob man meinem Auto so ein Wenig ansieht, dass es geregnet hat?