Amerikareise 2001 - Kapitel 32: Top of the World
  

Eigentlich wollte ich ja möglichst alles übersetzen, was hier so an englischem Vokabular rumfliegt. Wie übersetze ich aber "top of the world" vernünftig? "Dach der Welt" ist schon von Nepal/Tibet belegt, "oberes Ende der Welt" klingt tränig. Also lassen wir es dabei. Wem auch immer dieser Name eingefallen ist - den so getauften Highway zu befahren, ist tatsächlich ein herausragendes Erlebnis, obwohl der höchste Pass gerade mal 1376 Meter hoch ist. Man muss schon genau hinsehen, wo die Berge aufhören und die Wolken beginnen.

Direkt nach der Überquerung des Yukon in Dawson schlängelt sich die Straße über mehr als 100 km von Gebirgskamm zu Gebirgskamm. Ursprünglich unter dem Namen Ridge Road zur Versorgung von Goldfundstätten angelegt, wurde sie bis 1950 per Alaska Highway mit dem Rest der Welt verbunden. Wenn man die Augen nicht gerade zur Schlaglochsuche auf der Straße braucht (in Kanada weniger, in Alaska ständig!) schweift der Blick in alle Richtungen über grüne Hügelketten und ausgedehnte Blumenwiesen.

Wie auf einem fast endlosen Aussichtspunkt, grandios. Das Wetter ist zwar nicht ideal, aber auch Regenwolken können etwas faszinierendes haben, finde ich.

Ja, und dann reise ich wieder in den USA ein. Wobei Alaska doch etwas anders ist als die "lower 48", die 48 kontinentalen Staaten der USA südlich des 48. Breitengrades. Das Grenzhäuschen in Poker Creek steht so ziemlich im Niemandsland, der freundliche Grenzer drückt mir einen selbstgemachten Karibu-Stempel in den Pass...

... und hält ein Schwätzchen, sehr familiär. Kein Vergleich zur Einreise aus Mexico. Da spielt dieser Stempel noch eine Rolle. Aber dazu kommen wir später.

Die Straße nennt sich jetzt Taylor Highway, das ändert an der Anzahl der Schlaglöcher aber überhaupt nichts: Wellen, ein Bachlauf mitten auf der Straße, Schlamm, alles zu finden. Unterwegs stehen einige weitere Gold-Dredges in der Landschaft, rosten still vor sich hin und warten darauf, restauriert zu werden oder komplett den Weg alles Irdischen zu gehen, hier die Jack Wade No. 1 Dredge.

Nächste Ansiedlung am Weg ist ein Dorf namens Chicken (37 Einwohner). Im Jahr 1903 wollten die Gründer ihr Dorf eigentlich Ptarmigan nennen, nach dem Schneehuhn, das heute Staatsvogel von Alaska ist. Da sie sich aber nicht über die Schreibweise einigen konnten und um eine Schießerei zu vermeiden, einigte man sich schließlich auf Chicken. Dessen Innenstadt besteht heute aus drei Holzbuden: einem Saloon, einem Café und einem Souvenirladen, der auch aus einem großen Fass Benzin verkauft. Schräg über die Straße findet sich dann noch das Postamt. Als ich erfahre, dass im Café ein gewöhnlicher Hamburger mit Kartoffelsalat 26 DM kosten soll, verzichte ich auf die Unterstützung der örtlichen Volkswirtschaft und schmiere mir lieber ein mitgebrachtes Brot.

In Tetlin Junction trifft der Taylor Highway wieder auf den Alaska Highway. Die nächsten 20 Kilometer bis Tok sind (mangels Alternative) das einzige Stück Strecke, auf dem sich mein Hin- und Rückweg überschneiden. Der Herr mit Bart hat mit der Kreuzung zwischen Alaska Highway (2237 km) und Glenn Highway (aka Tok Cutoff, 528 km) sozusagen eine Schlüsselstelle besetzt. Der finanzielle Spielraum der vorbeikommenden Touristen wird allerdings vom Lebensmittelladen um die Ecke massiv eingeschränkt: Ein Liter Milch kostet hier 4,30 DM. Touristen, die von hier aus nach Kanada zurückfahren und die Supermärkte in Fairbanks oder Anchorage nicht erleben, müssen Alaska ja für sauteuer halten.

Vielleicht war ja der preisbedingte Verzicht auf gewisse gelbe Südfrüchte der Grund, warum sich irgendein Spaßvogel an der Brücke über den Tanana River südlich von Tok betätigt hat.

Zu lachen hatte dieser Zeitgenosse wohl eher weniger. Ob er an einen grauen Regentag mit kräftigem Gegenwind auf einer endlos geradeaus führenden Straße gedacht hat, als er sich für eine Radtour durch Alaska entschied? Ich habe da so meine Zweifel. Na Bernd, abgeschreckt?