Amerikareise 2001 - Kapitel 35: Nördlich des Nordpols

Ab Delta Junction fahre ich auf dem Richardson Highway parallel zur Alaska Pipeline. Die wurde 1974 - 1977 von Prudhoe Bay an der Beaufort-See (Arktis) quer durch Alaska nach Valdez am Golf von Alaska (Pazifik) gebaut. Das Öl braucht für die knapp 1300 km lange Reise etwa 40 Tage, in der gesamten Leitung sind ungefähr 9 Millionen Barrel Öl unterwegs.

Das Öl hat eine Temperatur von 82° Celsius, wenn es in Prudhoe Bay aus der Erde kommt und immerhin noch 63°, wenn es in die Röhre (Durchmesser 1,20 m) gepumpt wird. Bei der Ankunft in Valdez ist es noch 40° warm. In Bereichen, wo das Öl den Permafrostboden auftauen und die Stabilität der Fundamente beeinträchtigen könnte, wurde die Pipeline entweder oberirdisch verlegt oder der Boden um die Leitung wird mit speziellen Kühlelementen heruntergekühlt.

Um zu verhindern, dass nur noch Technikfreaks diese Seite weiterlesen, berichte ich doch lieber schnell über andere Dinge, die man so entdeckt, während man den Highway entlang fährt. Da wäre beispielsweise ein Mensch, der seinen Vorgarten in einen Privatschrottplatz verwandelt hat und dessen Dach etwas eigenartig aussieht - offensichtlich ein etwas ungeübter Hobbypilot.

Streng nach dem Motto "kein Kapitel ohne Tier" bietet sich ein Dorf weiter Frau Elch an, die gerade die Mormonen besucht, allerdings gleich danach mit ihrem Nachwuchs weiterwandert.

Übrigens: das Grundstück neben dem Santa Claus House (101 St. Nicholas Drive) ist gerade zu vermieten. Wer also gerne Rentiere (im Gehege nebenan) mag und Weihnachtsrummel liebt, der sollte gleich zugreifen! 

Und dann war ich doch etwas überrascht, den Nordpol soweit südlich zu finden, noch dazu praktischerweise direkt an der Autobahn.

Direkt nördlich vom Nordpol war dann nicht mehr zu übersehen, dass ich wieder in der Zivilisation bin. Rusty Arches und Taco Bell an der Straße - das müssen die Ausläufer von Fairbanks sein. Nach einer ausführlichen Dusche auf dem angesteuerten Campingplatz trete ich in der Telefonzelle um die Ecke in Kontakt mit der restlichen Welt. Hier haben die Telefonhäuschen nämlich eine Steckdose für Modem-Stecker, sehr praktisch! Sicher habe ich eine recht lustige Figur abgegeben, in diese Telefonzelle gequetscht, online im Romans-Gästebuch herumstrickend mit Aussicht auf kühles Alaska-Nieselwetter draußen vor der Scheibe ...

Nächster Programmpunkt: Das Museum der University of Alaska, Fairbanks (UAF). 

Vier Studenten mit überwiegend eingeborenen Vorfahren (ehemals Eskimos, heute Inua genannt) vermitteln einen Eindruck von den Spielen, die einmal jährlich bei der Eskimo-Olympiade zu sehen sind. Oft geht es um sportliche Leistungen kombiniert mit Geschicklichkeit. Bei diesem Spiel muss der von der Decke hängende Ball mit dem Standfuß (nicht der in der Schlinge) getroffen werden. Ähnliches gibt es noch in verschiedenen, sehr lustigen Varianten.

  

Ein weiterer Bereich sind Wettbewerbe, die Kraft oder Schmerzunempfindlichkeit trainieren sollen. Was den Bayern das Fingerhakeln, das ist den Inua das Ohrenziehen. Eine einfache Schnur um die Ohren der zwei Damen gelegt, und los. Außerdem wird noch gesungen und es gibt Spiele, die mich ein Wenig an einen Kindergeburtstag erinnern, sowas wie Froschhüpfen zum Beispiel.

Foto: Michio Hoshino

Doch zurück zu den ernsten Dingen des Lebens. Eine Sonderschau des UAF-Museums widmet sich dem Lebenswerk von Michio Hoshino, einem japanischen Fotografen, der während seines Studiums nach Alaska kam und gleich dort blieb, weil es ihm so gefiel. Bis er 1996 von einem Bären gefressen wurde, hat er reihenweise wunderschöne Bilder produziert, einige der Besten sind ausgestellt.

Foto: Michio Hoshino

Vor allem bei den Tierbildern kann man sich kaum vorstellen, welche Zeit und Mühe es gekostet hat, sie so aufzunehmen. Je länger ich selbst auf Bilderjagd bin, desto mehr bewundere ich die Fähigkeiten und die Ausdauer dieses Mannes.

Foto: Michio Hoshino

So wird beispielsweise beschrieben, dass er eine Woche lang bei minus 50 Grad Celsius gewartet hat, bis er das Nordlicht genau so vor's Objektiv bekam. Zwischendurch musste er allerdings unterbrechen, da ihm der Film in der Kamera eingefroren war...

Foto: Michio Hoshino

Womit wir auch schon beim Stichwort für die nächste Veranstaltung wären. In einer Mischung aus Vorlesung, Diashow und Videopräsentation erfahre ich alles über das Nordlicht, wissenschaftlich Aurora Borealis genannt. Es entsteht, wenn kleine Partikel aus dem Sonnenwind entlang der Magnetfeldlinien der Erde in die Atmosphäre eindringen. Da es einige Stunden dauert, bis sie die Reise von der Sonne zur Erde zurückgelegt haben, lässt sich durch Beobachtung der Sonnenaktivität voraussagen, wann viele Nordlichter zu sehen sein werden. Aktuelle Voraussagen finden sich unter http://www.sel.noaa.gov/pmap oder http://dac3.pfrr.alaska.edu. Nordlichter sind übrigens in Alaska wesentlich häufiger und intensiver zu beobachten als in Europa, weil sie sich in einem Streifen um den magnetischen Nordpol konzentrieren, nicht den geografischen. Obwohl ich einiges verstanden habe, sind mir viele Details immer noch unklar. Und um die Frage gleich im Keim zu ersticken: gesehen oder fotografiert habe ich selbstverständlich nix, Nordlichter kann man nämlich nur im Dunkeln sehen. Am nördlichsten Punkt meiner Reise geht die Sonne Ende Juli zwar schon wieder unter, aber dunkel wird es eben nicht.

Auf der Suche nach weiteren Sehenswürdigkeiten sehe ich im Touristenheft eine Fahrt mit einem Schaufelraddampfer (3 Stunden für 100 DM) oder den Besuch einer Goldmine (2 Stunden für 75 DM) angepriesen. Auch auf die Gefahr hin, jetzt mal wieder geizig zu erscheinen, war's mir das einfach nicht wert.  Statt dessen nutze ich meine Zeit lieber für einen Besuch bei Craemer's Dairy. Wie der Name schon vermuten lässt, wurden hier Kühe zwecks Milch- und Käsegewinnung gehalten, bis der Laden 1966 Pleite ging. Da die Wiesen aber jedes Jahr von tausenden sandhill cranes (Heike: Kanadische Kraniche oder Sandhügelkraniche, Grus Canadensis) als Raststation auf ihrem Flug von Sibirien nach Mexico und zurück benutzt werden, wurde das Gelände in einen staatlichen Park verwandelt.

Im Augenblick ist noch Vorsaison, die Kraniche halten sich also noch zurück. So begnüge ich mich mit wunderschönen Libellen (oben) oder den folgenden Waldbewohnern, die schon reichlich aus dem Boden schießen - Anfang August ist Herbst in Alaska.

   

Bei einer sehr interessanten Führung durch das Gelände komme ich mit einer Frau namens Nola ins Gespräch, die östlich von San Diego ein Vogelschutzgebiet betreut. Nachdem ich ihr eine Kurzlektion MS-Word und eine Kameravorführung (da kommt das Bild rechts her) gegeben habe, lädt sie mich ein, doch mal bei ihr vorbeizukommen. Dazu später mehr.

Zunächst wandern wir erst mal auf den Wochenmarkt, wo ich auf einer Bank in der Sonne köstliche Enchiladas verspeise, während uns eine etwa 60jährige Dame gegenüber erzählt, dass sie in jungen Jahren mal Nonne war. Dann wurde sie von ihrem Orden nach Paris geschickt, wo sie nackte Mädchen malen durfte, umringt von Rotwein trinkenden Franzosen. Danach ging's abwärts mit den Gelübden.