Amerikareise 2001 - Kapitel 47: Zuerst Nachtisch 


(Das Leben ist unsicher, iss den Nachtisch zuerst!)

Das könnte von mir sein. Zumindest hat der Laden an der Waterfront mir aus der Seele gesprochen - und trotzdem kein Eis verkauft, das nenne ich Pech. In der Altstadt gab es nämlich einen echten Italiener, der schneller (und köstlicher) war. Wieder bestätigt sich eine meiner Lebensweisheiten: es gibt nur ein Volk auf der Welt, das richtiges Eis herstellen kann, die Italiener!

Habe ich gerade Altstadt gesagt? Entschuldigung. Vielleicht sollte ich besser Pioneer Place District oder 'historischer Bereich' sagen. Seattle, benannt nach einem Häuptling der hier ansässigen Suquamish Indianer namens Se-ath-leh, entstand aus einer auf Stelzen gebauten Sägemühle, die den goldrauschbedingten Holzmangel im Süden ausgleichen sollte. Auch alle anderen Häuser rundherum waren so niedrig gelegen, "dass man die Toilettenspülung nur bei Ebbe bedienen konnte", wie es der Führer so illustriert beschrieben hat. Nachdem ein Feuer 1889 weite Teile der Stadt zerstört hatte, wurden deshalb bei 33 Häuserblocks die Straßen zwischen 2 und 10 Metern aufgeschüttet. Wohlgemerkt nur die Straßen, nicht die Gehwege!

Bis alle Gehwege "überdacht" waren, musste man also eine steile Leiter hoch- und drüben wieder runterklettern, um über die Straße zu gehen - an manchen Stellen 7 Jahre lang. Was bei den vom Feuer verschonten Steinhäusern bisher der Eingang zur Straße war, wurde zum Keller. Diese, inzwischen unterirdischen, Gehwege gibt es bis heute, man kann sie per Tour besichtigen. Besonders witzig fand ich die Bank, die den überdachten Ex-Gehweg jahrelang als Tresor benutzte, ohne besonderen Schutz nach oben. Auf dem Bild ist links die ursprüngliche Hausfassade zu sehen, rechts die Straßenmauer. Dazwischen der ehemalige Banktresor.

Hinwärts hatte mich Frank abgesetzt, rückwärts wollte ich mit dem Bus fahren. Den richtigen Bus zu finden, war nicht schwer. Da der Bus im Innenstadtbereich gratis ist, wollte der Fahrer zunächst mal kein Geld sehen. Beim Aussteigen informierte er mich dann notgedrungen, dass es 1,25 $ koste. Er schaut seelenruhig zu, wie ich zwei Dollarscheine in den Schlitz schiebe, dann erklärt er mir, dass er kein Wechselgeld rausgibt. So ein A...! Und ich habe mir von Frank noch ausdrücklich versichern lassen, dass man das Geld nicht abgezählt haben muss. Man kann sich auf dieser Welt wirklich auf niemanden verlassen ... :-)

Beim Anblick dieses Bildes werden die kritischen Leser unter Euch sicher denken: da war er also im Zoo. Hätte ich auch gedacht, wenn ich nicht dabei gewesen wäre, als ich das Foto geschossen habe. Wir befinden uns in freier Wildbahn, an der Union Bay des Lake Washington. Und Wasserschildkröten haben sie hier eine ganze Menge. Fische gibt es auch, glauben zumindest diese beiden Herren.

Ein ausgedehnter Wanderweg schlängelt sich durch viel Grün, über Brücken und Aussichtsplattformen. Auf dem Wasser kommen mal poplige, mal stattliche Yachten oder auch nur Kanus vorbei. Wie gewohnt bleiben meine Augen mal wieder an den kleinen Schönheiten am Wegesrand hängen:

  

Dass diese Naturoase nur 10 Autominuten von der Innenstadt entfernt ist, macht sich auf der anderen Seite des Marsh Island bemerkbar. Da stecken nämlich die Betonpfeiler der Stadtautobahn nach Redmond im friedlichen Seerosenteich. Auch die Geräuschkulisse vorbeidonnernder Trucks ist entsprechend.

Mein nächstes Ziel stand sozusagen auf der Fahndungsliste. In der Galerie eines Fotografen in Alaska habe ich das Bild einer russisch orthodoxen Kirche gesehen, das mir so gut gefallen hat, dass ich mir vorgenommen habe, sie ausfindig zu machen. Vom Interstate runter hatte ich die Türme schon mal gesehen, aber es war trotzdem ein ziemlicher Zickzack, bis sie vor mir stand. Was mir bis heute noch nicht klar ist: für mich war es nur eine Stunde Arbeit, bis die Stromleitungen aus dem Bild verschwunden waren. Wie hat das der Kollege mit der herkömmlichen Kamera gemacht??

Wo ich gerade schon in der Gegend bin, steuere ich als nächstes das Seattle Center an, mal wieder ein Überbleibsel einer Weltausstellung. In der Autonation USA werden auch Kinderwagen ordentlich geparkt - fehlt eigentlich nur noch die ansonsten reichlich vorhandene Parkuhr.

Geparkt sind die Gefährte vor der Space Needle, dem 210 Meter hohen Turm, den ihr schon vom Parkverbotsschild und von der Skyline in der vorigen Geschichte kennt. Jetzt ist es also endlich soweit, ich stehe in der Schlange vor dem Aufzug. Das Warten lohnt sich allerdings, oben bietet sich ein spektakulärer Blick, den ich Euch nicht vorenthalten möchte. Wie üblich gibt es das große 360° Panorama durch Klick auf das kleine. 

Während ich so in die Ferne schaue, läuft direkt vor meiner Nase ein Bartträger vorbei, der direkt danach verlangt, auf einem Bild festgehalten zu werden. Ich finde, der hellblaue Schlafanzug passt auch perfekt zum orangenen Turban. Ziemlich genau 3 Wochen später hätte der gute Mann wohl eine amerikanische Fahne anstecken, um nicht mit Osama verwechselt zu werden, aber dazu später mehr. Seattle scheint ein Bartzentrum zu sein, den Herrn rechts hatte ich nämlich auf dem Pike Place Market entdeckt. Er mich offensichtlich auch - Pech.

  

Wenn man an große Unternehmen in Seattle denkt, kommt einem natürlich gleich ein gewisser Herr Gates in Redmond in den Sinn. Vor 20 Jahren, als wir alle noch ohne PC glücklich waren, wäre da wohl als erstes der Name Boeing gefallen. Das Werk in Everett wird von meinem Reiseführer wärmstens empfohlen. Da Kameras bei der Tour nicht erlaubt sind, habe ich mir erlaubt, die zwei Bilder bei Boeing zu klauen. Noch dazu war ein Rundflug nicht im Tourpreis enthalten, außerdem hat es gerade genieselt, als ich ankam. Also: die Halle, die Ihr da seht, wurde 1967 fertiggestellt, 1968 lief der erste "Jumbo" vom Band. Inzwischen mehrfach erweitert, ist sie dem Volumen nach das größte Gebäude der Erde. 35 Meter hoch, 4 Millionen Quadratmeter Grundfläche. Die zwei Tore ganz oben in dem Gebäudeteil mit dem weißen Dach sind 27 Meter hoch und 107 Meter breit. Das beeindruckt schon. Immerhin müssen da auch ein paar Fliegerchen durchpassen.

Quelle: www.boeing.com

Die Tour an sich ist nicht mehr so überlaufen, seit sie Geld dafür nehmen. Dennoch müssen 140.000 Besucher jährlich verarbeitet werden. Das geht so: immer zwei Busladungen werden zusammen in ein Kino gesetzt, das angeblich einen Film über die Geschichte des Unternehmens zeigt. Tatsächlich ist es ein Stummfilm, in dem Bilder von Flugzeugen und einzelne Bilder aus den Pioniertagen der Fliegerei zusammenhanglos und sehr schnell aneinandergeschnitten sind. Ohne jeglichen Sinn. Danach sehen wir (wieder als Stummfilm, so verstehen es die zahlreichen Japaner besser) im Zeitraffer die Montage einer 747-400. Das Video, das nebenan im Gift Shop fer umme läuft, ist besser gemacht und aussagekräftiger. Jetzt kommt der schwierige Teil. Die Inhaber der orangen Tickets müssen in den einen Bus, die mit den hellbraunen in den anderen. Rot und Blau oder Grün (oder vielleicht gar nur abzählen!) wäre wohl zu einfach gewesen.

Quelle: www.boeing.com

Der Bus kurvt 5 Minuten übers Vorfeld, da sieht man geparkte Flugzeuge. Wer schon mal auf der Aussichtsterrasse eines Flughafens war, hat mehr gesehen. Dann werden wir in einen unterirdischen Versorgungsschacht entladen und mit dem Lastenaufzug auf eine Aussichtsplattform transportiert. Da haben wir abgezählt 10 Minuten Zeit, um Tafeln zu lesen, ein Modell zu betrachten und einen Rundkurs abzulaufen. Die Japaner sind damit voll zufrieden, da sie Tafeln sowieso nie lesen und mangels Kamera nicht wissen, was sie tun sollen. Ich hätte gerne mal einen Augenblick zugesehen, aber die nächste Gruppe wartet schon. Schade.