Amerikareise 2001 - Kapitel 48: Auf der Rodeo-Insel 

Den Regentag in Seattle verbringe ich überwiegend shoppend. Im Mariners Fanshop fällt mir ein Sweatshirt auf, das sie nur noch in 4XL haben, das ist sogar mir vor dem ersten Waschen zu groß. Der Aufdruck sieht etwas zerstört aus, ich lasse mir aber sagen, das sei kein bug sondern ein feature und solle Holzmaserung darstellen. Der Versuch, deshalb zu handeln, hat sich dennoch gelohnt: ich kriege 10% Rabatt, weil ich gleichzeitig eine Eintrittskarte für die Mariners gekauft hätte, wenn es noch welche gegeben hätte. Und dann ist da natürlich noch eine Kette namens Panda Express. Wie der Name schon sagt, gibt es chinesisches Fast Food. Vor allem das Burbon Chicken schmeckt köstlich - zum Reinsetzen!

Als mich die ersten Sonnenstrahlen treffen, bin ich reif für die Insel. Genau genommen ist es nur eine Halbinsel im Puget Sound, aber nach Kingston (warum muss ich gerade an Jamaika denken??) verkehrt eine Fähre. Das heißt, normalerweise eigentlich zwei. Aber heute ist eine kaputt, was dazu führt, dass eine ordentliche Warteschlange entstanden ist und der Pizzamann, der die Reihen entlanggeht, mehrfach Nachschub holen muss. Da ich im Urlaub bin, habe ich ja Zeit. Noch dazu wäre die Schlange auf der Insel noch wesentlich länger gewesen! Fotos der Überfahrt gibt es übrigens nicht, es hat nämlich gerade mal wieder kräftig geschüttet, ich bin also brav drinnen geblieben und habe mir die Prospektwand näher betrachtet. Nach der halben Stunde Überfahrt kam es mir vor, als wolle der Käpt'n den Anleger rammen, so schnell kamen wir rein. Aber es hat gereicht.

Drüben an Land verziehen sich die Wolken dann allerdings, es wird wieder richtig schön. Erster Halt ist das 1853 gegründete Städtchen Port Gamble. Es besteht hauptsächlich aus einer Sägemühle (vier Jahre nach dem Goldrausch wird Holz gebraucht..., mehr zum Thema in Kapitel 83) und diversen alten Holzhäusern. Dieses da wurde 1889 vom Chefingenieur William Walker gebaut. Mir haben vor allem die liebevollen Details gefallen, wie dieses Fenster:

Während ich gerade (im Nieselregen) die längste Ponton-Brücke der Welt über den Hood Canal zur Olympic Peninsula überquere, erzählen sie im Radio davon, dass das Rodeo heute Abend wegen des Regens ausfällt und zusammen mit dem ebenfalls abgesagten gestrigen morgen nachgeholt wird. Also 3 Rodeos zum Preis von einem. Das wäre doch was für mich - wenn es da nicht noch ein Problem gäbe: sie haben nur erzählt, es handle sich um die Kitsap County Fair, mehr nicht. Der Sherlock in mir entdeckt allerdings auf einem der Prospekte von der Fähre eine Karte, auf der im Kitsap County ein Fairground eingezeichnet ist, zwischen Silverdale und Bremerton. Das wäre doch gelacht...

Also kehrt Marsch und nach einer Übernachtung in Norwegen (das Dorf heißt Poulsbo und wird wohl von Amis für original norwegisch gehalten) in Silverdale eingetroffen. Schilder oder so brauchen Einheimische nicht, aber als sich die Pickups mit Heu auf der Ladefläche häufen, verfolge ich sie einfach mal. Das führt mich zum Pferdeeingang, der für Zweibeiner ist auf der anderen Seite. Der Parkplatz ist eine durchweichte Wiese, das kennen wir ja schon. Eigentlich sollte es um 12 Uhr losgehen, da sind aber noch diverse Baumaschinen damit beschäftigt, die leicht unter Wasser stehende Arena rodeotauglich zu machen.

Mit einer guten Stunde Verspätung geht der Dreierpack los. Vom neuen Termin haben wohl nicht besonders viele Leute erfahren. Oder sie haben am Freitag Mittag noch was anderes zu tun - obwohl inzwischen ausgezeichnetes Wetter ist. Die Reihen füllen sich allerdings bei der Abendvorstellung ganz erheblich. Bei einer Umfrage des Ansagers stellt sich übrigens heraus, dass ich zusammen mit einem Holländer der einzige Ausländer bin. So sollte es immer sein!

Erster Programmpunkt sind die Saddle Broncs. Deutlich daran zu erkennen, dass der Reiter seine Füße in Steigbügeln verankert hat und sich nur mit einer Hand an einem dicken Seil festhält, die andere Hand ist irgendwo in der Luft. So muss er 8 Sekunden durchhalten, bevor er abspringen darf. Punktrichter bewerten, ob er nur angestrengt geguckt hat, oder ob der Ritt tatsächlich eine gute Leistung war.

Dann ist Calf-Roping dran. Da haben sich so viele Teilnehmer angemeldet, dass ich über den Nachmittag verteilt einiges zu sehen und zu knipsen kriege. Also: wie verschnüre ich ein Kalb kunstgerecht?

1. Das Kalb wird aus einem Gatter heraus "gestartet", ein paar Sekunden danach darf auch der Cowboy starten und versucht, dem Kalb so schnell wie möglich ein Lasso überzuwerfen.

2. Wenn das Lasso greift, hebt der "Ringrichter" die Fahne. Wenn er mit der Fahne wackelt, war es ein ungültiger Versuch. Ansonsten wird die Zeit gestoppt, sobald er das Kalb für verschnürt hält und die Fahne wieder senkt.

3. Das andere Ende des Seils ist am Pferd befestigt. Während also das Pferd das Kalb recht unsanft bremst, springt der Cowboy ab.

4. Auch wenn das arme Kälbchen leicht verstört guckt: es wird in Position gewuchtet, sprich auf den Rücken gelegt, Füße nach oben.

5. Der Cowboy schnürt zuerst zwei Beine zusammen, dann wird noch ein drittes dazugewickelt. Fertig. Übrigens: zwischen Start des Kalbs und fertiger Verschnürung vergehen bei den Profis hier weniger als 5 Sekunden!

Bei dem ganzen Geschnüre in der Arena hätte ich beinahe den Blick auf die Tribüne vergessen. Leider hat das Cowgirl in blau gerade weggeschaut. Dabei war sie ein echter Hingucker.

Die Herren unten im Schlamm sind inzwischen auf ausgewachsene Rindviecher umgestiegen. Hier heißt die Devise wieder: 8 Sekunden draufbleiben. Oder wenigstens fotogen runterfallen...

Damit die Sache nicht zu ernst wird, gibt es zwischendrin Einlagen. Da wäre z.B. John Payne, der "Einarmige Bandit", der Pferde und Rinder auf das Dach seines Viehanhängers treibt, oder Bert Davis, "der Coppertown Clown" mit seinem Hund.

Das Barrel Race leidet unter diversen Absagen. Vielleicht ist der Boden den Damen doch noch zu tief gewesen. Immerhin, einige Cowgirls legen sich in die Kurven.

Nach graziler Weiblichkeit sind jetzt wieder raue* Männer gefragt. Steer wrestling (Stier-Ringkampf) geht so:

1. In der Mitte wartet der Stier darauf, dass ein Kopfnicken des Cowboys das Gitter vor seiner Nase öffnet. Dann rennt er los.

2. Während der Kollege rechts (wie man sieht, nicht selten auch Damen) den Stier auf Kurs hält, macht sich der Cowboy links sprungbereit.

3. Er versucht, den Stier "bei den Hörnern zu packen" und zu bremsen.

4. Dann bekommt das arme Tier den Kopf verdreht. Der Wrestler versucht, möglichst mit Schwung den Stier von den Beinen zu holen. Dabei muss er aufpassen, dass er nicht aus Versehen eines der spitzen Hörner im Bauch hat.

5. Auch wenn das Hinterteil hier noch steht, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis alle vier Beine in der Luft sind und der Schiedsrichter mit der Fahne winkt. Hättet Ihr gedacht, dass Kühe so 'biegbar' sind?

Zum Schluss sind die Bareback-Reiter dran. Im Gegensatz zu den Saddle Broncs haben sie keine Steigbügel, dafür aber einen Riemen direkt am Sattel, nicht nur einen Strick am Zaumzeug. Und wieder heißt es: 8 Sekunden überleben und angestrengt gucken.

Zwischen der Nachmittagsvorstellung und dem "ordentlichen" Abendprogramm ist 45 Minuten Pause. Gerade genug, um wärmere Klamotten zu holen und den Magen mit einem Taco Salad und einem Stück Pizza zu füllen. Dummerweise ist es inzwischen so dunkel, dass meine Kamera keine scharfen Bilder mehr zustande bringt. Dann kann ich jetzt das Rodeo wenigstens richtig genießen, so ohne Kamera vor der Nase...

-----------------------------
* sieht das nicht doof aus so? Ich hätte ja 'rauhe' geschrieben, aber was unsere neue Rechtschreibung ist...