Amerikareise 2001 - Kapitel 50: Der Berg, der nicht Tacoma heißt 

Wie schon aus der Überschrift zu erkennen, setzt sich das Programm mit Bergen und Meer abwechselnd fort. In dieser und der nächsten Story geht es um Berge, dann ist wieder das Meer dran, versprochen. Also, in dieser Geschichte geht es um den Berg. DEN Berg. Wenn auf der Space Needle in Seattle davon die Rede ist, heute sei DER Berg nicht zu sehen, geht es um diesen hier.

Er ist mit 4392 Metern die höchste Erhebung im Staat Washington und heißt - hm, da hätten wir das Problem. Ursprünglich wurde er mal von den Ureinwohnern Tacoma (oder Tahoma) getauft. Dann kam der gute Vancouver Schorsch an der Küste vorbeigesegelt und benannte alles, was ihm vors Fernglas kam. Die Sicht war gut, also wurde dieser Gipfel nach einem befreundeten Offizier namens Peter Rainier getauft. Dass dieser Herr Rainier nie in Amerika war und auch sonst nichts weltbewegendes vollbracht hat, war nicht weiter wichtig. Irgendwann gehen einem Entdecker eben die sinnigen Namen aus. So sahen es in den 1930ern auch die Einwohner der Stadt Tacoma, die (natürlich ganz uneigennützig) den Berg gerne genauso genannt hätten. Trotz gewonnener Volksabstimmung weigerte sich die Regierung, den einmal benutzten Namen wieder zu ändern, bis heute.

Um die Idee des Denali-Busfahrers aufzugreifen: als ich das erste Mal in den Nationalpark reinfahre, kann ich den Mt. Rainier nicht sehen. alles nur ziemlich dicke Nebelsuppe. Die Narada Falls sind allerdings recht gut zu sehen. 

Bevor ich loslaufe, wird erst mal geluncht. Das beobachtet ein Steller's Jay sehr aufmerksam. (Querverweis für Baseballer: Blue Jays sind wesentlich weniger blau als Steller's Jays, trotz des Namens). Danach geht es um den Wasserfall herum abwärts. Entlang des Wegs wachsen überall Brombeeren, nur dass die Beeren nicht schwarz sind, sondern gelb-orange. Sie sehen aber ziemlich reif aus.

Im Visitor Center lasse ich mich aufklären, dass es sich um Salmonberries handelt. Sie sind tatsächlich reif, wenn sie orange sind. Daraufhin muss ich natürlich auch mal probieren. Schmecken gar nicht schlecht, allerdings nicht nach Brombeere sondern eher so etwas nach Zitrusfrucht. Der Name stammt übrigens von den lachsfarbigen Blütenblättern.

Nachdem ich auf einem Film gesehen habe, was ich sehen würde, wenn gerade was zu sehen wäre, drehe ich um. Der Campingplatz im Park möchte 34 DM je Nacht und hat noch nicht mal Duschen, ziemlich unverschämt. Also bleibe ich lieber draußen im Dorf. Inzwischen ist es schon um 20 Uhr stockdunkel, ich will nach Fairbanks zurück!! Am nächsten Morgen warten zwei Enttäuschungen. Vor dem Fenster ist es ziemlich grau-suppig, drinnen enthält das Körnerbrot ("seeded") eigentlich nur Kümmel, das schmeckt mit Marmelade etwas gewöhnungsbedürftig. So fahre ich also mal los. Als ich am Sunshine Point vorbeikomme, hören die Wolken wie abgeschaltet auf. Klarer Fall von aha-Erlebnis.

Heute präsentiert sich dem Autotouristen am Aussichtspunkt eindeutig der Mt. Tacoma. Im Paradies angekommen (nein, nicht mit dem Auto von der Straße abgekommen, der Parkplatz heißt so) schnüre ich die Wanderschuhe. Ich habe mir den Skyline Trail rausgesucht, 9 km Weg mit 500 m Höhenunterschied. Den Höhenunterschied merkt man allerdings gar nicht so sehr, weil man sowieso alle paar Meter stehen bleibt, um entweder die Blümchen am Wegesrand zu knipsen, hier Enzian (Mountain Bog Gentian / gentiana calycosa)...

... oder Murmeltiere (Hoary Marmot), die gar nicht murmeln, sondern laut pfeifen ...

... oder die geniale Aussicht rundrum. Hier vom Panorama Point auf den Nisqually River. An der Straße da unten ist übrigens das Bild mit dem Camper entstanden.

Wer hat hier eigentlich was von flach legen gesagt? Naja, zugegeben, das kraxeln strengt schon an und die Sonne lädt ja dazu ein, alle Viere von sich zu strecken. Vor allem, wenn man als Murmeltier schon langsam schläfrig wird für den Winter...

Auf dem Schneefeld gegenüber ist allerdings Action angesagt. Wir lernen gerade, wie wir auf dem Hintern abwärts rutschen und uns dann stilecht selbst abfangen. Pisten-Gaudi ohne Brettl.

Eigentlich möchte ich hier oben für immer sitzen bleiben. Könnte man nicht die Welt mal ein paar Stunden anhalten, um diesen Eindruck besser in sich aufnehmen zu können? Das bleibt wohl nur ein Traum, also mache ich mich langsam an den Abstieg. Langsam hauptsächlich deshalb, weil ich nach jeder Kurve die Kamera wieder auspacke, weil die Wiese noch bunter oder der Bach noch idyllischer aussieht.

Diese Erkenntnis hat sich natürlich auch schon bei den einheimischen Amis herumgesprochen. So kämpft der Park recht vergeblich gegen den riesigen Besucherandrang. Vor allem, weil ja nur etwa 100 Schilder im Laufe des Weges darum bitten, nicht nebenan über die Wiese zu laufen sondern auf dem Weg zu bleiben. Genausogut könnten die Schilder in Suaheli oder Hieroglyphen geschrieben sein, es stört sich keiner dran. Japanisch wäre übrigens auch nicht schlecht, für ein gutes Foto ignorieren die nämlich jedes Schild. Vielleicht sollte man mal im Fernsehen (Zeitungen liest hier ja keiner) ankündigen, dass an gewissen Stellen Tretminen verlegt werden, das könnte helfen. Ihr seht, je mehr dieser Zerstörung ich sah, umso militanter wurden die Ideen.

   

So ein klein wenig absurd wird es, als ein Ranger einem Touristen den frisch gepflückten Blumenstrauß abnimmt. Blumen pflücken ist logischerweise auch tabu. Hinter der nächsten Wegbiegung hat er die Blümchen dann einzeln unauffällig ins Gebüsch geworfen.

Nach knapp 6 Stunden bin ich zurück am Auto, ziemlich geschafft. Auf zum nächsten Berg...