Amerikareise 2001 - Kapitel 54: Cal-Mania

Während ich mich durch das halbe Napa Valley staue, erzählt Paul Hardy im Radio davon, welch drakonische Strafen Richter hierzulande verhängen. Einen Ami, der sein Radio zu laut aufgedreht hatte, verknackte er zu vier Stunden Polka-Musik. Das nenne ich Gleiches mit Gleichem vergelten. Ansonsten erinnert mich die Gegend hier so ein Wenig an das Barossa Valley in Australien. Nach Weinprobe ist mir aber nicht, und zum Aussteigen ist es eigentlich auch zu heiß. Noch dazu möchte ich pünktlich am vereinbarten Treffpunkt mit Rodger Gray sein. Wir haben uns am Coliseum in Oakland verabredet.

Nach knapp 3 Monaten in Amerika treffe ich in Oakland zum zweiten Mal auf bekannte Umgebung. Als ich 1987 mit Markus und Rüdiger hier war, habe ich in diesem Stadion das erste Baseballspiel meines Lebens gesehen (und nicht sehr viel davon verstanden). Damals gab es die riesige Gegentribüne für die Footballer noch nicht, man hatte noch freie Sicht auf die Berge. Eigentlich waren wir ja gekommen, um die einheimischen Athletics gegen die Baltimore Orioles spielen zu sehen. Orioles? Genau, das ist das Team aus Kapitel 15 in Toronto, in dem Cal 'die lebende Legende' Ripken spielt. Da die Abschiedstour inzwischen in die heiße Phase gekommen war, dominierte er das Geschehen.

Cal hatte zur Feier des Tages seine komplette Familie mitgebracht, sein Sohn Ryan durfte mit aufs Feld laufen und später auch den First Pitch werfen. Das Stadion war weitgehend Ripken-isiert. Sowohl die Homeplate, als auch das dritte Base, an dem Cal spielt, als auch der next batter circle sind einheitlich in orange gehalten.

   

Schon lange vor dem Spiel konzentriert sich das Geschehen ganz auf die Mannschaftsbank von Baltimore. Zu ärgerlich, dass unser Held später noch spielen muss. Er hätte sonst Stunden stehen können, um Autogramme zu geben, ohne dass die Menschenmenge um ihn herum weniger geworden wäre.

Warum dieser ganze Rummel? Das ist nicht ganz einfach zu verstehen. Zum einen besteht Baseball mindestens zur Hälfte aus Statistiken. Was auch immer ausgewertet oder gezählt werden kann, wird in Bestenlisten verarbeitet. Dieser Cal Ripken jr. hat nun sage und schreibe 20 Jahre lang in der Profiliga gespielt. Mit den bis zu diesem Tag insgesamt 2977 Profispielen seiner Karriere ist er Achter in der ewigen Hitliste. Am 6. September 1995 brach er Lou Gehrig's Rekord von 2130 Spielen ohne Pause bei ein und demselben Verein. Bis zu einer Verletzung in diesem Jahr hat er die Zahl auf 2632 Spiele am Stück erhöht, ohne auch nur ein einziges Mal zu fehlen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird dieser Rekord wohl nie mehr gebrochen werden. Zum anderen haben Amerikaner offensichtlich eine besondere Vorliebe für Vorbild-Helden, die entsprechend ausführlich gefeiert werden. Oder man nennt gleich seine Kinder nach dem Helden.

Der Gouverneur von Kalifornien hat den heutigen Tag zum Cal-Ripken-Gedächtnis-Tag erklärt, es werden wichtige Reden geschwungen, Weinpräsente und Schecks für den guten Zweck überreicht usw. Die Nationalhymne singt ein russischer Sänger, der mich so ein Wenig an Enrico Palazzo erinnert, dann donnert ein Kampfjet der Air Force direkt über unsere Köpfe. Der Held macht bei alledem gute Mine, obwohl es ihm wohl lieber gewesen wäre, wenn die ganze Zeremonie ohne ihn stattgefunden hätte. Er ist auf dem Teppich geblieben, das macht ihn wohl endgültig so sympathisch und beliebt.

Da hätten wir noch einen markanten Unterschied zwischen Baseball in USA und Fußball in Deutschland. Nicht nur, dass hier vielleicht 20 Polizisten im Einsatz sind, um sich um 32.000 Zuschauer zu kümmern (und eigentlich hauptsächlich den Verkehr regeln, weil natürlich jeder mit dem Auto kommt), das komplette Stadion erhebt sich zu standing ovations, wenn Cal an den Schlag kommt. Dass er eigentlich zum gegnerischen Team gehört oder welche Mannschaft da gerade gewinnt, ist in diesem Moment völlig uninteressant (die Orioles kommen übrigens mit 6:12 unter die Räder).

Noch ein interessanter Punkt für Baseballer (die anderen haben wohl sowieso schon aufgegeben und zum nächsten Kapitel geklickt). Cal startet als Feldspieler am dritten base, wo er zwei mal at bat ist und ein strikeout und ein flyout produziert. Dann wird er ausgewechselt, kehrt danach aber noch mal als DH an die Platte zurück und produziert ein double. Wie das regelgerecht gehen soll, konnte mir bisher noch niemand erklären. Wir haben da wohl für die Legende ein dickes Auge zugedrückt.

Am Getränkestand hätten wir dann wieder ausreichend Grund, "typisch!" zu sagen. 1987 hatte ich hier das einschneidende Erlebnis, dass ein recht haarloser Papi mit Kind auf dem Arm versuchte, einen Becher Dünnbier zu bekommen. Das scheiterte daran, dass er nicht beweisen konnte, über 21 Jahre alt zu sein. Inzwischen ist der Kampf gegen den Alkohol in eine neue Runde gegangen. Wenn mehrere Bierkonsumenten einen rausdeuten, der nüchtern bleiben und fahren muss, wird er mit einem kostenlosen soft drink belohnt. Eben einen solchen Gutschein habe ich nun versucht einzulösen. Allerdings hätte ich gerne so einen durchsichtigen Souvenirbecher gehabt. Jetzt gibt es die Gratis-Limo aber nur im Pappbecher, in diesen Souvenirbechern wird nur Bier verkauft. Der Versuch, einen leeren Becher zu kaufen und darin meine Limo einzufüllen, scheitert an komplettem Unverständnis der Dame hinter der Theke. Die herbeigerufene Chefin bestätigt, dass Limo nur in einem größeren, hässlichen Souvenirbecher verkauft wird, und zwar für 4 $. Der durchsichtige Becher kostet 6 $, dann ist allerdings Bier drin. Nach fünfminütigen, zähen Verhandlungen gelingt es mir, wenigstens den kleinen hübschen Souvenirbecher mit Limo für 6 $ zu erwerben, den Gutschein kann ich verbrennen. Soll ich mich jetzt wie zu Hause fühlen, bei soviel Flexibilität?