Amerikareise 2001 - Kapitel 63: In der Stadt der Engel

Die warme Pazifiksonne treibt mich recht früh aus dem Bett. Ursprünglich hatte ich mir ja mal überlegt, ob ich meine Karre an einem Park-and-Ride Parkplatz abstellen soll um mit der Metro die Staus und Parkplatzprobleme zu umkurven. Ein Blick auf den Platz (Bild, werktags morgens 10 Uhr) zeigt mir, dass nicht nur ich die Entscheidung zu Gunsten des eigenen Autos getroffen habe. Die Stadt ist einfach zu groß, mit dem eigenen Auto ist man eben doch viel schneller und beweglicher. Abgesehen von einem kleinen Stau, als die Fahrer auf meiner Seite des Freeway zuschauen wollen, wie auf der Gegenfahrbahn ein brennendes Auto den Verkehrsfluss bremst und die Luft nicht gerade sauberer macht, komme ich eigentlich ganz gut durch.

Gehört oder im Fernsehen gesehen hat man von South Central LA ja schon. Dennoch werden die Gefühle erst richtig gemischt, wenn man dann tatsächlich durch Straßen fährt, in denen die Hälfte der Häuser abgebrannt sind (für die Nicht-Spanier unter uns: Es gab gebrauchte Reifen zu kaufen, und zwar 7 Tage die Woche). Eigentlich war ich auch auf dem kürzesten Weg unterwegs zu den Watts Towers.

Hier hat zwischen 1921 und 1954 ein Mann namens Simon Rodia Türme gebaut. 1875 in Neapel geboren kam er mit 15 Jahren nach Amerika. Er arbeitete als Bergmann und auf dem Bau. Als er schon über 40 Jahre alt war, kaufte er im damaligen Dorf Watts ein Grundstück und begann, in jeder freien Minute an seinem Lebenstraum zu arbeiten.

Ohne Bauplan oder Gerüst und finanziert nur durch seine Einkünfte als Bauarbeiter entstanden aus einem Stahlskelett, Beton, Kacheln, Flaschen, Kaffeetassen usw. diese filigranen Kunstwerke. Der größte Turm ist über 30 Meter hoch und wird ohne Schrauben, Schweißnähte oder Nieten zusammengehalten, Rodia hat nur Draht und Beton verwendet.

Inzwischen sind die Kunstwerke durch einen stabilen Zaun gesichert, näher ran oder rein darf man nicht. Lange wurde gerätselt, woher Rodia die Idee für die Türme hatte. Inzwischen haben Forscher herausgefunden, dass in einem Dorf namens Nola in der Nähe von Neapel anlässlich eines jährlichen Fests Gebilde aus Holz und Pappmaché durch die Straßen getragen werden, die dem kleinsten Turm täuschend ähnlich sehen.

Auf dem La Cienega Boulevard durchquere ich ein ausgedehntes Ölfeld - mitten in LA hätte ich das nicht erwartet! Dann besorge ich mir auf dem Farmer's Market, wo sich niemand daran erinnern kann, je einen leibhaftigen Bauern gesehen zu haben, köstliche panierte frittierte Shrimps und eine 1 Woche alte FAZ für 8 DM - man gönnt sich ja sonst nix! Immerhin gibt es hier wenigstens ausländische Druckerzeugnisse. Auf dem internationalen Flughafen von San Francisco habe ich beispielsweise vergeblich versucht, irgendeine ausländische Zeitschrift oder Zeitung zu finden - chancenlos!

Für hiesige Verhältnisse sozusagen um die Ecke verläuft der Hollywood Boulevard. Da war ich 1987 schon mal, allerdings hat sich in der Zwischenzeit doch einiges verändert. Vor Graumann's Chinese Theatre haben sich deutlich mehr Stars mit Schuh- und Handabdrücken im Beton verewigt, teilweise mit "typischen" Sprüchen.

Die Augen bleiben für die nächste Zeit am Boden. im Gehweg des Hollywood Boulevard gibt es nämlich 2500 Sterne zu betrachten. Gar nicht so einfach, niemanden zu rempeln, die Namen auf den Sternen zu lesen und gleichzeitig noch die Umgebung wahrzunehmen. Manfred ist schon ziemlich verzweifelt, weil ich bei der Betrachtung der diversen Promi-Postkarten fast immer fragend mit den Schultern zucke, während er mir diverse zugehörige Namen, Kinofilme und Fernsehserien aufsagt. Da trainiere ich doch lieber schon mal für Mexiko und handle einen pakistanischen Kofferhändler von 20 $ plus tax auf 15 $ alles inklusive herunter. Jetzt habe ich zumindest mal eine riesige Reisetasche mit Griff und Rollen, die sollte mir beim Rückflug unschätzbare Dienste leisten... Auf das silberne Glitzerjackett und die grüne Perücke verzichte ich einstweilen, auch den Fragebogen zur Verbesserung meiner Persönlichkeitsstruktur im L. Ron Hubbard Museum umkurve ich im weiten Bogen. Hier können sich die Scientologen ganz öffentlich neue Opfer suchen - manchmal übertreiben die Amis das mit der Freiheit dann doch.

Ob mein Name für diverse Verdienste um diese Internetseite auch mal mit Füßen getreten wird? Wir werden sehen. Zumindest habe ich gleich meinen ersten Auftritt im amerikanischen Fernsehen. Wie das ging? Also, direkt auf den besagten Sternchen werde ich von einem Typ angequatscht, ob ich nicht als Publikum an einer game show teilnehmen möchte. Zunächst reagiere ich mit dem antrainierten Abwehrreflex, nach ein paar Minuten Nachdenken gewinnt allerdings die Neugierde - das muss man doch eigentlich mal gesehen haben. Und was Besseres habe ich heute Abend sowieso nicht vor. So stehe ich also in der Schlange vor den NBC-Studios in Burbank, ohne zu wissen, was mich erwartet.

Nach dem Durchschreiten eines Metalldetektors werden wir alle in schwarze T-Shirts gesteckt (mehr als XL gibt's nicht, ich sehe aus wie die Wurst in der Pelle) und in Grüppchen aufgeteilt. So ein Wenig fühle ich mich wie ein Rindvieh in der Herde, während ich mir die Füße in den Bauch stehe. Dann werden wir im Studio verteilt. In der ersten Reihe wird uns eine schwarze Decke über die kurzbehosten Beine gelegt, mir als Hüter der Ecke kommt außerdem die wichtige Aufgabe zu, den beleuchteten Gang deckenfrei zu halten. Wie man sehen kann, gelingt mir das nicht hundertprozentig ...

Außerdem werden wir vergattert, ruhig zu sitzen und uns auch sonst zivilisiert zu benehmen. Also drei Stunden lang mehr oder weniger nicht bewegen. Klatschen ist gestattet, aber nicht zu frenetisch. Lachen darf schon sein, muss aber nicht.

Während der nächsten 3 Bruttostunden erlebe ich also, wie eine Nettostunde The Weakest Link aufgezeichnet wird. Eigentlich eine Produktion der britischen BBC, wegen des Erfolgs auch von NBC gekauft. Dummerweise kenne ich weder die Gastgeberin Anne Robinson (links), noch die ganzen Berühmtheiten der heutigen Celebrity-Ausgabe, nur den Namen Tonya Harding kann ich mit einer (Skandal-) Geschichte in Verbindung bringen. Wir haben noch einen MTV-Moderator namens Puck, ein Kasper der die ganze Zeit auf einem Bein steht und sich Jelly-Beans im hohen Bogen in den Mund wirft; Darva, eine Blondine, die "blind" einen Millionär geheiratet hat (und es 4 Wochen aushielt, inzwischen ist sie Krankenschwester); Kato, einen Hausgast von O. J. Simpson, als der berüchtigte Mord geschah; Kaya, einen Überlebenden einer Big Brother Insel; die schlagfertige Sängerin Gennifer, eine Ex-Geliebte von Bill Clinton (aber noch bevor er Präsident wurde); Leif, einen angeblich recht bekannten Rock-Sänger und Todd, der rausgeworfen wird, bevor ich erfahre, warum er prominent ist. Am Ende gewinnt übrigens Kaya, obwohl er haufenweise Geld verschenkt hat, gegen Kato, der Polen für den westlichsten Staat Europas hält und die ersten olympischen Spiele der Neuzeit in Rom vermutet hatte.

Natürlich war Fotografieren im Studio verboten, ich hatte gleich keine Kamera mitgenommen. Wie Ihr seht, hab' ich doch Bilder genau dieser Show bekommen. Und das ging so: Ungeschickterweise wussten Sie bei der Aufzeichnung natürlich noch kein Sendedatum. Irgendwann Ende Oktober. Na fein, dabei hätte ich doch auch zu gerne gesehen, was da rauskommt. Glücklicherweise war es ja keine stinknormale Sendung, in der Menschen wie Du und sonstwer auftreten, sondern eben mit Berühmtheiten für einen guten Zweck. Wie es der Zufall nun wollte, hatte ich mitten in der texanischen Pampa auf dem Weg nach El Paso im Radio einen Werbespot gehört, der diese Sendung für den gleichen Abend ankündigte (2 Minuten später verließ mich der Sender für immer...). So führte mein erster Weg in El Paso zu Kinko's, um auf der Internetseite von NBC die Sendezeit zu recherchieren (stimmt die Zeitzone?) und eine mail an alle meine mit Videorekorder bestückten Freunde loszulassen. Frank in Seattle hat mir die Show dann tatsächlich auf Video aufgezeichnet, die Kassette fand ihren Weg nach Deutschland. Irgendwie fehlen in der Sendeversion allerdings die besten Gags der Sendung, schade. Helle hat das Video dankenswerterweise in Bilderchen zerhackt- et voilá! So seht Ihr meinen ersten Auftritt im US-Fernsehen dokumentiert. Zugegebenermaßen hätte ich mich auch nicht erkannt, wenn ich nicht genau gewusst hätte, dass ich da sitze - vielleicht schaff' ich ja beim nächsten Engagement eine Statistenrolle mit zwei Wörtern Text ...

Verrückte Gefährte finden sich in Hollywood durchaus nicht nur auf der Leinwand, als richtiger Bewohner dieser Ecke hat man auch ein entsprechendes Auto vor der Tür stehen. In Deutschland wüsste der TÜV einen solchen gepanzerten Blickfang auf öffentlichen Straßen sicher zu verhindern.

Wie unschwer zu erkennen, endet der heutige Tag mal wieder mit einem Baseballspiel. Nach mehreren schweißtreibenden Anstiegen und halsbrecherischen Abfahrten weiß ich, warum ich der einzige unter 38.000 Zuschauern bin, der mit dem Fahrrad gekommen ist. Nachdem ich einige Minuten vergeblich versucht habe, ein Second Hand Ticket zu erwerben, stehe ich eben an der offiziellen Kasse. Ins Stadion darf ich allerdings nicht, seit dem 11. September sind nämlich Rucksäcke grundsätzlich tabu. Da hilft auch gut Zureden oder eine ausführliche Durchsuchung nix. Als ich meine nicht vorhandene Bombe mit einem Pullover, meinen Hosenbeinen, der Kamera etc. in eine riesige Plastiktüte stecke und den Rucksack ans Fahrrad anschließe, darf ich glücklich rein.

Bevor allerdings das Spiel los geht, ist zunächst ein wunderschöner Sonnenuntergang zu bewundern, hier der Blick Richtung Downtown. Weiter drüben in den Hügeln sehe ich den Hollywood-Schriftzug. Es ist immer noch verflixt warm, der kühle Wind kommt da gerade recht. Das Spiel an sich ist eher dürftig, die LA Dodgers verlieren 1:2 gegen die San Francisco Giants. Einzig Homerun Nummer 67 von Barry Bonds sorgt für einen Höhepunkt. Hier schaut Barry dem Ball noch nach, gleich wird er die Arme hochreißen und sich ordentlich freuen.

Nach knapp vier Monaten Amerika hätte ich eigentlich geglaubt, das Gröbste schon gesehen zu haben. Umso erstaunter bin ich dann, wenn ich mal wieder was ganz Neues entdecke. Wie beispielsweise dieser Fast Food Laden, der behauptet, zur größten Hot Dog Kette der Welt zu gehören. Drinnen gibt es außerdem noch Hamburger, aber weit und breit nichts, was nach Schnitzel aussieht. Etikettenschwindel!

Nicht wirklich eine Sensation, aber für deutsche Augen doch zumindest ungewöhnlich ist der Anblick eines fahrenden Postamts. Nicht etwa irgendwo draußen auf dem Land, wo sich eine stationäre Post nicht lohnen würde (auch jedes noch so kleine Kaff hat nämlich seine eigene Post!), nein mitten in LA sucht und findet der USPS seine Kunden vor einem großen Bürohaus.

Als folgsamer reiseführerlesender Tourist steht noch Long Beach auf dem Programm. Da findet sich nämlich ein etwas ungewöhnliches Hotel namens Queen Mary. Direkt davor ein ausgemustertes Sowjetisches U-Boot, in dem man jetzt für 22 DM herumwandern darf. So eins habe ich allerdings vor ein paar Jahren in New York schon besichtigt, deshalb verzichte ich dankend.

Auf der anderen Seite der Bucht findet sich ein wunderschöner, ausgedehnter Sandstrand. Manfred testet die Wassertemperatur, ich komme endlich mal dazu, die in Winnipeg gekaufte Autobiografie von Albert Schweitzer (in deutsch) zu lesen. Wo dieses Buch wohl in seinem Leben schon war? Der Friede am Strand wird allerdings schon bald von zwei Radladern gestört, die direkt vor uns Sandberge hin und her bewegen. Immer wenn sie rückwärts fahren, tutet es. Das nervt vielleicht!

Die Aussicht an diesem Strand ist übrigens auch was Besonderes. Was hier auf den ersten Blick noch nach palmenbestandener Insel aussieht, ist beim näheren Hinsehen eine künstlich aufgeschüttete, getarnte Bohrinsel. Auf dem Weg in den Norden von LA genieße ich es, mit Manfred an Bord ein "Car Pool" zu sein und den Stau rechts liegen lassen zu können. Das war mir alleine bei einer Strafe von genau 271 $ bislang verboten...

Unser Ziel ist das Autry Museum of Western Heritage. Auf zwei Stockwerken wird alles dokumentiert, was zum typischen amerikanischen Westen gehört. Mir gefallen besonders die ethnischen Ecken und die Filmabteilung. Und die Ecke, wo die Legende Colt dokumentiert wird.


Bild: Marinerevolver, Modell 1851, Kaliber 36. Graviert und mit Goldeinlagen versehen.

Auf seiner ersten (und letzten) Reise als Seemann nach Kalkutta schnitzt der 16jährige Samuel Caldwell 1830 ein Modell einer Pistole mit drehbarem Zylinder. Zwei Jahre später reist er als "Dr. Coult aus Kalkutta" durch Amerika und hält Vorträge über die therapeutischen Effekte von Lachgas. Damit verdient er soviel Geld, dass er 1834 nach weiteren Experimenten den ersten Revolver bauen kann. Mit seinem Verkaufstalent gelingt es Sam Colt, seine Erfindung erfolgreich zu vermarkten.


Bild: Single Action Revolver (Spitzname: peacemaker), Kaliber 45,
Präsentationsmodell als Geschenk für den Präsidenten Lyndon B. Johnson

Historiker haben den Colt zusammen mit Pflug und Windmühle als Schlüsselwerkzeuge für die Eroberung des Westens bezeichnet. Darüber ließe sich streiten. Sicher ist, dass der Colt für die Soldaten der Kavallerie, Sheriffs und Marshalls, Gangster und Cowboys zur unverzichtbaren Ausstattung gehörte. Sprüche wie "God made man, Sam Colt made men equal" oder die Beschreibung "Richter Colt und seine sechs Geschworenen" zeigen die Bedeutung, die Colts damals hatten.