Amerikareise 2001 - Kapitel 65: Weinende Waschbären und fauchende Opossums

Nachdem ich Long Beach mit seinen getarnten Ölbohrplattformen verlassen habe, arbeite ich mich der Küste entlang nach Süden vor. Im Aliso Beach Park mache ich Pause und spiele mit dem Gedanken, jetzt endlich mal baden zu gehen. In der Sonne ist es ja ziemlich heiß, aber schon als mir der Pazifik bis zu den Knöcheln steht, fühle ich mich ausreichend abgekühlt. Am ganzen Körper nass werde ich erst oben unter der Dusche. Dann tröste ich mich mit Zeitung lesen im Schatten einer Palme mit Blick auf die Brandung - das ist ein Leben!

Am frühen Abend bin ich in San Diego angekommen. Zuerst schwinge ich mich auf mein Radel und erkunde den Balboa Park. So ganz dunkel erinnere ich mich daran, dass ich hier mit Markus und Rüdiger auch schon war. Die Gebäude, ursprünglich mal für die Panama-California "Weltausstellung" 1915-16 gebaut, beherbergen jetzt verschiedene Museen. Von außen hält man den maurisch inspirierten Stil eigentlich eher für einen Palast oder eine Kirche. Einen vier Meter hohen Kunst-Appetithappen haben sie gleich vor die Tür gestellt. Vor dem Mingei International Museum hat eine gewisse Niki de Saint Phalle "Poet und Muse" dargestellt. Nebenan auf der Straße führt ein Zauberer Tricks vor, auch beim zweiten Durchgang habe ich längst noch nicht alle durchschaut. Der ist wirklich witzig. Weiter hinten ist alles schon ziemlich geschlossen und tot, das sogenannte Arboretum ist eigentlich nur noch eine Müllhalde.

Etwas enttäuschend sind auch die Münztelefone hier. Trotz gutem Zureden wollen sie partout keine kanadischen Quarter schlucken, die ich extra reichlich mitgebracht habe. So gehen 50 US-Cents drauf, um mit Nola, meiner "Urlaubsbekanntschaft" aus Fairbanks, einen Termin abzusprechen. Wir einigen uns auf sofort, San Diego muss also noch etwas warten. Mit dem Berufsverkehr schleiche ich nach Osten aus der Stadt bis nach Lakeside.

Fast auf die Minute pünktlich stehe ich vor dem Tor des Silverwood Wildlife Sanctuary, einem recht großen Gelände, das die gemeinnützige Audubon Society gekauft hat und sozusagen als privates Naturschutzgebiet betreibt. Nola ist da so eine Mischung zwischen Forscherin, Wachpersonal, Fremdenführerin und Generalsekretärin.

Dieses Häuschen ist sozusagen die Dienstwohnung, von hier aus beobachtet sie etwa 140 verschiedene Vogelarten, die so im Lauf des Jahres vorbeikommen. Und auch mal eine Klapperschlange oder einen Luchs. Wir begrüßen uns wie alte Freunde und schwelgen eine Weile in alten Erinnerungen. Während wir beide unsere Alaska-Bilder sortieren, geht es ein ums andere Mal wie in der Sparkassenwerbung: mein Adler, mein Bär, mein Wasserfall.

Ein Bild hat Nola allerdings, da kann ich nicht mit. Sie hat es auf der Fähre auf dem Rückweg von Alaska geknipst. Das ist die amerikanische Version der Geld-Zurück-Garantie: "Zufriedenheit garantiert oder sie bekommen Ihren Müll doppelt zurück".

So vergeht der Abend bei Kerzenlicht und klassischer Musik. Auf dem Menü stehen gebratenes Gemüse und panierte Shrimps. Alles strikt ökologisch-vegetarisch, aber dennoch köstlich. Ach ja, dann wäre da auch noch Hummus. Das ist ein Pulver aus Bohnen, Sesam und verschiedenen Gewürzen, das mit Wasser und Öl zu einem recht eigenartigen Brei angerührt wird. Schmeckt mit Knäckebrot und Tomaten aber unerwartet köstlich! Zum Frühstück gibt es Pfannenkuchen mit Sonnenblumenkernen und Rührei mit Soja-Hackfleisch. Mir kommen Zweifel, ob ich noch in Amerika bin. Nola zeigt mir eine komplett andere Seite dieses Landes. Als Nächstes geht es Einkaufen. Ich bekomme einen Costco (Großmarkt, wie bei uns Metro oder Fegro) zu sehen und erwerbe eine 12 kg-Wassermelone. Auf dem Rückweg fahren wir bei Sally, einer guten Freundin von Nola vorbei.

Sally und ihr Mann betreiben da so eine Mischung zwischen Tierheim und Privatzoo. Wenn in der Umgebung verletzte oder verwaiste Tiere gefunden werden, landen sie bei Sally, da klingelt dann auch schon mal nachts um 3 Uhr das Telefon. Zu den Dauerbewohnern gehören eine strangulierte Gans, zwei Hängebauchschweine, eine Ziege, ein Pferd, Hund, Katze und verschiedene Papageien. Und natürlich Jane Dow, die Ersatzmutter (oben), die wahrscheinlich meine Kamera gefressen hätte, wenn ich sie nicht auf Abstand gehalten hätte.

Im Haus in der Krankenstation sehe ich Vögel mit gegipsten Beinen und Flügeln, kleine Waschbärwaisen (sooo goldig!) und einen Wurf Opossums, die schon mal üben, richtig gefährlich zu fauchen. Meine Finger lasse ich jetzt lieber außerhalb der Reichweite der Zähnchen...

Als wir weiter über das Gelände wandern, erfahre ich, dass es gerade wieder Ärger mit den lieben Nachbarn gibt und das Geld fürs Futter wieder knapp wird. Die Wanderung führt vorbei an zwei Luchsen (die hier bobcat heißen), einem Falken und zwei heimatlosen Eulen (das hier ist eine great horned owl) zur großen Waschbären-Kolonie (genannt raccoon). Ich lerne, dass Waschbären ab einem gewissen Alter bissig und unberechenbar werden, auch wenn sie mit der Flasche aufgezogen wurden. Also wieder Sicherheitsabstand für die Fingerchen. Immerhin erleichtert das die spätere Auswilderung erheblich. Wenn ich nicht sicher wäre, dass die Tierchen hier nur aufgepäppelt werden, bis sie reif für die Freiheit sind, wäre das hier doch ein ideales Propagandabild: trauriger Waschbär hinter Gittern - beim ersten Hinsehen hatte ich den Eindruck, als ob er gerade weint.

Am nächsten Tag bekommt Nola Besuch von ihrem Komitee und gerät ordentlich in Hektik, weil sie mir nochmal ein frugales Frühstück bereiten möchte. Dann bin ich auf dem Weg nach Westen, zurück nach San Diego. Genau gesagt, durch die Stadt durch bis zum Point Loma. Hier gibt es einen alten Leuchtturm zu bewundern, der 1855 erbaut, aber schon 1891 wieder aufgegeben wurde. Er war oben auf dem Hügel gebaut und deshalb bei Nebel oder tiefen Wolken nicht zu sehen. Der neue Leuchtturm (unten) ist bis heute in Betrieb.

Zum National Monument wurde der Felsen allerdings aus einem anderen Grund. Hier hat ein gewisser João Rodríguez Cabrillo, ein Portugiese im Auftrag des Spanischen Königs, am 28. September 1542 einen geschützten Hafen entdeckt und San Miguel getauft. 30 Jahre nachdem Kolumbus zum ersten Mal in Amerika gelandet war, war Cabrillo unter dem Kommando von Hernán Córtez an der Eroberung der Hauptstadt der Azteken, Tenochtitlán (heute Mexico City), beteiligt. Im Juni 1542 schickte ihn der spanische Vizekönig Antonio de Mendoza mit drei Schiffen nach Norden, um Land zu erobern und einen Weg nach Asien und zu den Gewürzinseln zu finden. Den fand er nicht, denn er starb schon im Januar 1543, aber die Aufzeichnungen der Expedition waren wertvolle Informationen für nachfolgende Eroberer.

Zufällig bin ich genau am 30. September hier, Cabrillo Day. Der Jahrestag der ersten "Entdeckung" US-amerikanischen Bodens durch einen Europäer wird gerade mit einem Fest gefeiert. Tanzgruppen, jede Menge Latino-Essen, Hobby-Ritter aus Arizona in original nachgemachter Rüstung, die über den fachgerechten Einsatz von Schwertern informieren - es ist allerhand geboten.

Als ich Ende November mit Manfred noch mal da bin, ist vom Fest natürlich nichts mehr zu sehen, dafür ist die Sicht über den Hafen von San Diego doch deutlich besser. Um den Leuchtturm am Point Loma ziehen jede Menge Segelboote ihre Bahn, bei so einer Regatta würde ich jetzt auch sehr gerne mitmachen!

Statt dessen verabschiede ich mich für eine Weile vom Meer und fahre landeinwärts nach Osten. Immerhin bin ich jetzt knapp 2 Monate mehr oder weniger immer an der Küste entlang südwärts gefahren. Am Interstate 8 bei Alpine werfe ich einen letzten Blick zurück, als hinter dem Freeway die Sonne im Pazifik versinkt.