Amerikareise 2001 - Kapitel 66: Stachlige Gesellen

Abends um 10 hatte es noch abgezählt 28 Grad (Celsius). Wie angenehm, dass der Wind so auf meine Dachluken steht, dass ich mich irgendwann nach zwei Uhr in der Nacht für Schwitzen und gegen Geklappere entscheide. Auch der nächste Tag verspricht keine Besserung. Die Karte sagt, ich durchquere jetzt das Anza-Borrego Desert (der Anza-Teil wurde benannt nach Juan Bautista de Anza, spanischer Forscher, entdeckte 1774 die erste Landroute von Mexico an die Pazifikküste des heutigen Kalifornien; Borrego Springs wurde wohl nach dem spanischen Wort so genannt und heißt übersetzt "einjähriges Schaf", aber auch "Dummkopf"). Zunächst bergig, danach ziemlich flach, mit diversem Gestrüpp und Kakteen bestanden. Ein Schotterweg führt mich in den Plum Canyon.

Die hohen Blütenstände der Agaven kenne ich ja schon vom Mittelmeer. Einige andere Gewächse sind allerdings schon etwas gewöhnungsbedürftig. Diese Geschichte wird also eher was für Freunde stachliger Gesellen. Da hätten wir zunächst ein Prachtexemplar, das mir als Calico-Kaktus (Enchinocereus engelmannii) vorgestellt wird.

Ein optisch eher entfernter Verwandter ist der Ocotillo. Besonders schön sieht er im Frühjahr aus, wenn an den langen dünnen Ästen leuchtend rote Blüten "brennen". So macht er ja eher einen etwas dürr-toten Eindruck. Ein Stück die Straße runter ist nach ihm die Ocotillo Wells State Vehicular Recreation Area benannt. Wie an den Sanddünen darf man hier mit beliebigen Fahrzeugen die Gegend unsicher machen. Das ist fast so wie die Kiesgrube in Ketsch, nur eben so ungefähr 40 x 30 km groß.

Kurz vor Mecca (darf ich mich jetzt Hadji nennen, auch wenn ich nicht hingepilgert sondern nur durchgefahren bin?) regnet es tatsächlich mitten in der Wüste, aber nur ein paar Tropfen. Für die ausgedehnten Obstplantagen reicht das nicht ganz, die werden aus der Salton Sea (liegt etwa 100 Meter unter dem Meeresspiegel) künstlich gegossen.

Ein paar lustig zerklüftete Hügel später und jenseits der Interstate 10 erstreckt sich noch viel mehr dieser ziemlich leeren Gegend. Obwohl es in dieser Pampa eigentlich nichts gibt, haben sie eine Straße gebaut, der nur noch die Hochgebirgsserpentinen fehlen, eine Kurve nach der anderen auf komplett flachem Gelände (das blaue oben ist übrigens die getönte Scheibe, kein Wolkenbruch ...)

Auch wenn es nicht so aussieht, diese verlassene Gegend gehört zu einem Nationalpark. Der Südeingang des Joshua Tree NP ist allerdings tatsächlich so verlassen, dass ich mangels Kontrolle nicht mal die 10 $ sparen kann, die ich Dank Nationalparkpass nicht hätte bezahlen müssen. Das Info-Center des Parks steuere ich dennoch sofort an. Viel wichtiger als der Prospekt ist die benachbarte Dump Station, in der ich den Inhalt meines Abwassertanks loswerden und den Inhalt des Frischwassertanks auffüllen kann. Und weil das Wasser in diesem Schlauch eigentlich sehr angenehm warm ist, stelle ich mich gleich kurzentschlossen in den etwas dünnen Strahl, obwohl der eigentlich nicht als Dusche gedacht war. Und das, obwohl es heute bewölkt und kühl (nur 30° C) ist.

Die nächste Überraschung wartet an den Cottonwood Springs, einer Quelle, um die herum Goldsucher einige Palmen gepflanzt haben. Wer genau hinschaut, sieht einen grünen Kolibri vor grünem Hintergrund. Ansonsten geht es allerdings mit karger Landschaft weiter. Nächster Haltepunkt sind die Cholla Cactus Gardens. Wo im Jahr etwa 10 cm Niederschlag fallen und es im Sommer bis 50° C warm wird, fühlen sich die Teddybär-Kakteen (so genannt, weil die hellen Spitzen an weiche Teddybär-Ohren erinnern) am wohlsten.

Biologen würden sie Opuntia Bigelovii nennen, Einheimische haben ihnen den Spitznamen "jumping cholla" gegeben. Bei der kleinsten Berührung bohren sich die mikroskopisch kleinen Häkchen tief unter die Haut und sind nur mühsam und schmerzhaft zu entfernen. Dabei wollten die Chollas ursprünglich nur Vögel oder Nagetieren "anspringen", um sich auszubreiten. Beim ersten hinsehen sehen die Chollas aus, als hätte es kürzlich mal gebrannt, so verkohlt sind sie untenrum. Das ist aber auch nur eine optische Täuschung, die Stacheln verfärben sich im Lauf der Zeit.

Diese stachligen Gesellen hören auf den namen Bleistift-Cholla (Opuntia ramosissima) oder, wegen der rautenförmigen Struktur, Diamant-Cholla. Sie zeigen mir, dass ich noch in der tiefer liegenden, trockeneren Colorado-Wüste bin. Wenige Kilometer danach ändert sich die Landschaft, ich bin in der höher gelegenen, etwas kühleren und feuchteren Mojave-Wüste angekommen. Deren Hauptdarsteller ist der Namensgeber des Parks, der Joshua-Baum.

Spitzfindigerweise könnte man darauf bestehen, dass diese Pflanzen gar keine Bäume sind. Die nächsten Verwandten wachsen auch direkt nebenan und sind mir Mitteleuropäer aus dem Blumenladen schon eher bekannt: links ein Joshua Tree, rechts eine Yucca-Palme. Faustformel zum Merken: wenn's oben auseinandergeht, ist es ein Joshua Tree, wenn's sich unten teilt, ist es eine Yucca.

 

Weil die Pflänzchen an sich noch nicht richtig spektakulär sind, hat die Natur die Joshua Trees in eine bizarre Landschaft aus Granit-Skulpturen gesetzt. Und eingedenk der Kritik, ich sei so selten auf meinen Bildern zu sehen, hatte ich den Selbstauslöser klar gemacht, um diesen Natural Arch angemessen zu präsentieren. Dummerweise war zwischen dem Kamera-Stativ-Felsen und dem Arch mehr Felsen, als ein behende kletternder Mensch wie ich in 15 Sekunden überwinden kann. Nach 4 Versuchen war ich gewaltig außer Puste aber immer noch ohne repräsentatives Bild ...

Well. Glücklicherweise hatte ich auf dem Rückweg ja jemanden dabei, den ich ins Bild stellen konnte. Das sieht doch gleich netter aus, oder? Außer Atem war ich danach übrigens auch wieder, diesmal sind wir nämlich gewaltig drauf rumgeklettert.

Die Ecke nennt sich übrigens White Tank. Genau die, die Tom Russell in seinem Lied Joshua Tree besingt (das Ihr im Hintergrund hört). Mitten zwischen diesen Felsen wurde ein Campingplatz angelegt, jedes Plätzchen hat seine eigenen Felsen. Da das Campen dort nicht mal etwas kostet, hatten wir gerade noch Glück, den vorletzten freien Standplatz zu ergattern.

Auf einem dieser Felsen zu sitzen und in die untergehende Sonne zu schauen, habe ich als eine der schönsten Erinnerungen aus diesem Urlaub mitgenommen.

Man fühlt sich an diesem Ort so klein, beinahe alleine im Universum.

Zurück zur harten Realität. Für die USA eher ungewöhnlich finden sich an Keys View Tafeln mit deutlichen Worten zum Thema Umwelt. Der Blick geht über das Tal des Whitewater River. Rechts der San Gorgonio-Pass, über den die Smogwolken aus dem Großraum Los Angeles herüberziehen. Das Colorado River Aquädukt transportiert Wasser für Süd-Kalifornien über ca. 550 km Betonröhren, Kanäle und Tunnel. Mount San Jacinto (3200 Meter) überragt Palm Springs, die Stadt in der Wüste mit über 100 Golfplätzen.

Nächster Programmpunkt ist eine Wanderung zur Lost Horse Mine. Vor 150 Jahren wurden mit dieser Konstruktion Steinbrocken zerkleinert, heute gammelt da jede Menge Equipment so vor sich hin.

Die Menschen haben sich aus dieser Gegend schon längst zurückgezogen, einige einheimische Bewohner sind allerdings dennoch zu entdecken:

Manfred hatte noch nicht genug körperliche Anstrengung und krabbelt anschließend durch die Jumbo Rocks. Dagegen suche ich mir eine Besichtigungstour auf amerikanisch (soll heißen, auf vier Rädern mit Klimaanlage). Die Geologie-Tour führt 18 Meilen durch die Entwicklungsgeschichte des Parks, nur für allradgetriebene Autos und schüttelresistente Touristen zu empfehlen.

Das Gestrüpp rundrum nennt sich übrigens Creosote (Larrea tridentata). Dieser Busch hat drei verschiedene Sorten Blätter, er wirft sie je nach Trockenheit ab, um die Verdunstung zu minimieren.

Der heutige Übernachteplatz heißt Ryan. Er steht dem White Tank in nichts nach, die Gegend ist einfach atemberaubend (vor allem, wenn man ständig hochklettert zum Knipsen).

Als die Sonne weg ist, mache ich es mir auf der benachbarten Bank gemütlich und speise Hummus mit Knäckebrot und Tomaten. In der Dämmerung kommt ein Fledertier vorbei (das hätte ich gerne da behalten) und ein Koyote schleicht vorbei. Derweil baue ich mein Notebook auf und weihe die Gray'sche Citronella-Kerze ein. Sie denkt aber im Traum nicht daran, lästige Insekten zu verjagen. Nur zwei Motten, die im heißen Wachs landen wollen, rafft es dahin.