Amerikareise 2001 - Kapitel 22: Yahoo!*

Da bin ich also wieder in Calgary. Einer von sieben Monaten ist schon vorbei. Hinter mir liegt ein kleiner Rundkurs (knapp 9000 km) nach Toronto und zurück, vor mir liegt "the greatest outdoor show on earth", wie sich die Calgary Stampede selbst bescheiden nennt. 

Als 1912 zum ersten mal ein Rodeo in Kanada stattfand, war das noch überschaubar. Inzwischen muss man schon aus der Luft kommen, um alles überblicken zu können:

Jetzt aber mal der Reihe nach. Den Überblick hatte ich am Anfang natürlich noch nicht. Weil mir die Parkplätze vor dem Haupteingang (15 DM) zu teuer waren, bin ich mal auf die südliche Seite gefahren. Da findet sich ein großer Friedhof, dessen Bewohner kein Auto mehr fahren - ergo: Parkplatz für mich. 10 Minuten später bin ich mit dem Fahrrad wieder am Eingang. Weil das alles klasse organisiert ist, kann man allerdings keine Rodeo-Tickets erwerben, ohne Eintritt für den Fairground zu zahlen, die Ticket-Bude ist mitten auf dem Gelände. Wenn man aber ein Rodeo-Ticket hat, darf man damit gratis auch den Fairground betreten. Also radle ich weiter in die Innenstadt, um dort bei Ticketmaster Eintrittskarten für die nächsten beiden Tage zu erwerben.

 

Ich genieße es richtig, nach den toten Innenstädten von Winnipeg und Regina endlich mal wieder ein lebendiges Stadtzentrum zu finden, in dem Stampede-bedingt natürlich noch mehr los ist als sonst. Dass an verschiedenen Stellen Country Music live zu genießen ist, hätte ich ja nicht anders erwartet. Dazu gibt es aber noch Anden-Musik aus Ecuador (die Jungs finden sich wirklich überall auf der Welt ...), um die Ecke klimpert Beethoven oder so und noch ein paar Schritte weiter hört man eine Jazzkneipe. Auch der Magen wird reichhaltig bedient. Ich ignoriere allerdings das German Sausage House und gönne mir ein Falaffel beim Libanesen.

 

Während Calgary vor vier Wochen noch von normalen Menschen bevölkert war, kann man jetzt Einheimische und Touristen auf einen Blick auseinanderhalten, "dress western" ist das Motto.

   

Mein Auto kocht inzwischen, es hat sicher 30 Grad im Schatten. Da kommt es sehr gelegen, dass es am Abend auf dem Campingplatz ein ordentliches Gewitter gibt. Der Regenbogen danach ist sensationell, die Wolken unter dem Bogen sind komplett rot (leider wird das auf Bildern nie was). Am nächsten Morgen kann ich sogar einen Schattenparkplatz ergattern, bevor ich zum Fairground radle.

Wie schon auf der Aufnahme aus der Luft zu sehen, ist ein riesiger Vergnügungspark aufgebaut. Die Fahrgeschäfte sind allerdings längst nicht alle so hyper-technisiert wie bei uns. Auch die zahllosen Buden rundrum unterscheiden sich von unseren. Hier gibt es jede Menge Glücksspiele und viele Buden nach dem Motto: "zahlen Sie 5 $, jeder gewinnt" - ein Plüschtier im Wert von 3 $. Das allerdings mit sehr viel Phantasie und abwechslungsreicher als bei uns. Und weil das ganze so riesig ist, kann man mit einer Sesselbahn von einem Ende zum anderen fahren (die Schlange davor ist allerdings so lang, dass man schneller gelaufen ist).

Weil heute alle Senioren freien Eintritt haben, ist im Casino schon vormittags kräftig was los. Vor fast jedem der 200 einarmigen Banditen sitzen ergraute Damen und Herren und werfen geduldig haufenweise Quarter ein. In der Nordwestecke des Geländes finden sich drei große Hallen, die wie unser Maimarkt aussehen. Die Stände bieten Schuhputzmittel, Whirlpools, Westernkleidung, Wahrsagen, Antihaft-Pfannen und was einem da noch so einfällt. An dem Stand mit dem kostenlosen Internetzugang werfe ich einen Blick auf den DAX und kriege beinahe einen Schock - schnell weiter! Im Corral läuft eine Hundeshow, wo die Vierbeiner Slalom laufen, Hochsprung üben oder Reise nach Jerusalem spielen. Klasse gemacht und echt witzig. Als ich aus den klimatisierten Hallen nach draußen komme, trifft mich fast der Hitzschlag. Schnell weiter in den Saddledome.

Der Saddledome ist die Arena, in der im Winter die Flames Eishockey spielen. Gewisse Indizien auf dem Gang lassen allerdings darauf schließen, dass heute keine Eishockeyspieler am Werk sind. Vielmehr bin ich in einen Wettkampf für Marching Show Bands geraten. Das sieht dann folgendermaßen aus: Während etwa ein Dutzend Damen Fahnen schwingen, versuchen zwischen 20 und 60 kostümierte Leute, diverse Formationen zu laufen, während sie muntere Musik spielen. All das wird von zwei Dirigenten mehr oder weniger koordiniert und von Preisrichtern danach bewertet. 

Inzwischen meldet sich mein Magen. Ich bestelle einen Steak-Sandwich und Eistee. Ich bekomme Zwiebelgeschnetzeltes mit Käse überbacken in einem Doddelbrötchen und einen Becher voller Eiswürfel mit etwas Tee drumrum. Das Leben ist hart. Glücklicherweise gibt es ja noch Elephant Ears (sowas wie bei uns Langos) und Funnel Cake (siehe Nahrhaftes). Jetzt wird es aber Zeit, zum Rodeo-Gelände rüberzuwandern. Heute steht Chuckwaggon Race und Show auf dem Programm. Die Rennen der Pferdewagen sind insbesondere beim Start interessant, weil die Wagen von Helfern gebremst werden müssen, um dann eine enge Kurve um ein Fass zu drehen, bevor es eine Runde ums Stadion herum geht.

Recht sehenswert, auch wenn ich wohl nie ein großer Fan von Pferderennen werde. Anschließend wird eine riesige Bühne an die Stelle gezogen, wo gerade noch Pferdewagen gefahren sind. Dann bekommen wir eine fantastische Show geboten, die eine Mischung zwischen Musical, Artistik und Feuerwerk bietet, sie heißt "Echoes of the trail". Vor allem die Reise durch die vier Elemente begeistert mich restlos. Bei "Feuer" brennt die halbe Bühne, im Hintergrund werden mit Trennschleifern Funken geworfen, neben der Bühne schießen Stichflammen in den Himmel. Bei "Wasser" regnet es tatsächlich auf der Bühne (und glücklicherweise nur da, den Abend davor und den danach kommt genau während der Show ein Gewitter runter). Als um halb zwölf die letzte Feuerwerksrakete aufgestiegen ist, wandere ich noch mal über den Rummelplatz - bei bestimmt noch 25° richtig angenehm.  

Die Dusche auf dem Campingplatz ist eng, das Wasser spärlich und ziemlich heiß, aber es macht trotzdem einen neuen Menschen aus einem. Am nächsten Tag habe ich mir vorgenommen, das Indianerdorf etwas näher zu untersuchen. Wie es sich gehört, wohnen die Ureinwohner während der Veranstaltung im Tipi. Naja, zumindest einige. Die anderen schlafen draußen im Wohnmobil, weil da ein Fernseher und ein Kühlschrank eingebaut sind.

Nebenan auf dem PowWow-Platz findet gerade das besagte Wetttanzen statt. 

Moderiert von Chief Sonnenbrille hüpfen Athabascan und Algonquin in diversen Altersgruppen, sortiert nach Tanzstil und Geschlecht im Kreis herum. Das soll jetzt nicht abfällig formuliert sein, es macht nur keinen übermäßig planmäßigen Eindruck ...

Am farbenprächtigsten sind die "Fancy-Dancers", die um den Kopf und um die Hüfte je einen Federkranz gebunden haben.

Jetzt wird es aber Zeit für die eigentliche Hauptattraktion, das Rodeo. Das besteht aus verschiedenen Disziplinen, in den Pausen gibt es Show-Einlagen wie z.B. einen britischen Kunstlassowerfer; Kids, die Schaf-Rodeo reiten oder die obligatorischen Clowns. Wir fangen natürlich erst mal mit der Fahnenparade und den Nationalhymnen an, wie sich das gehört.

Der erste Wettkampf ist saddle bronc riding. Der Cowboy muss sich mindestens 8 Sekunden auf dem Pferd halten, wobei er nur mit einer Hand ein Seil hält, die andere Hand muss er nach oben halten. Sind diese Grundbedingungen erfüllt, wird von Punktrichtern beurteilt, wie gut der Ritt war. Dabei kommt es auch sehr darauf an, wie sich das Pferd benimmt. Bockt es nicht genug, bekommt der Reiter die Wahlmöglichkeit, es später noch mal zu probieren.

Zweite Disziplin ist das Steer-Wrestling. Dabei springt der Cowboy von seinem Pferd auf ein Rind und versucht, es schnellstmöglich so flachzulegen, dass alle vier Beine keinen Kontakt mehr mit dem Boden haben. Diese Zeit messen "Kampf"richter.

Ohne es zu ahnen, sind wir gleich beim Höhepunkt der Veranstaltung. Beim bareback riding kommt es (wie vorhin bei den saddle broncs) darauf an, in 8 Sekunden möglichst viele Punkte zu machen. Nur dass sich die Reiter hier an einer Schlaufe festhalten müssen und die Steigbügel fehlen.

Während ich also munter die Kamera draufhalte, kommt der geschichtsträchtige Moment. Bisher lag die Rekordpunktzahl, die je in Calgary erreicht wurde, bei 89 von 100. Zuerst 1976 von der "Legende aus Wyoming", Joe Alexander erreicht, dann nochmal 1982 von J.C. Trujillo, dem damaligen amtierenden Weltmeister. Ein Texaner namens Scotty Drennan hat nun ausgerechnet an diesem Mittwoch, 11. Juli 2001 einen 90 Punkte-Ritt hingelegt. Er hätte eigentlich gestern reiten sollen, aber die Pferde der Firma Kesler kamen nicht rechtzeitig an, so hat er lieber verzichtet und gewartet - das hat sich gelohnt. Und was mich daran am meisten begeistert hat: ausgerechnet diesen Ritt habe ich als Movie mitgeschnitten. Falls Ihr also genug Geduld oder einen schnellen Internetzugang habt, könnt Ihr Euch die Datei runterladen.


Scotty Drennan's 90 Punkte-Rekordritt (stampede.avi 10,5 Sec. 9,1 MB, bessere Qualität)
Scotty Drennan's 90 Punkte-Rekordritt (stampede.mpg 12 Sec. 2,2 MB, etwas bescheidenere Qualität)
Scotty Drennan's 90 Punkte-Rekordritt von der Webseite der Stampede als Apple Quicktime (6r.mov 18 Sec. 1,75 MB, gute Qualität)

Kurzer Exkurs: An sich ist es ja klasse, dass meine Kamera Videos aufzeichnet. Dummerweise tut sie das nur im Apple QuickTime-Format, für das man den passenden Player braucht. Es hat erstmal einige Flüche und kräftig Ärger gebraucht, weil die Version 4 mit meinem W2K nicht laufen wollte, bis ich in Seattle schnell mal V 5.0.2 aus dem Internet gezogen habe, dann ging's plötzlich. Damit alle was davon haben, wollte ich das Teil aber kürzen und in ein gängigeres Format verwandeln. Nach einem Hilferuf an die Ex-Kollegen bei ABB haben Daniel und Thomas prompt reagiert (danke!!). Also habe ich auch noch schnell 13 MB MovieXone runtergeladen und zwei Nächte bis nach 2 Uhr gekämpft, bis das rauskam, was Ihr jetzt sehen könnt.
Inzwischen hat sich Christian die Zeit genommen, das mpg-file zu erzeugen, auf dass es etwas schneller geht. Sollte ich also irgendwann mal den Hut rumgehen lassen, bitte werft auch was für ihn rein :-)

Jetzt aber Zurück zum Rodeo. Da sind die Mädels dran. Barrel racing heißt das, wenn die Damen einen Kurs um 3 Fässer herum reiten, hier zählt wieder die Zeit. Dass man Motorräder in die Kurve legt, war mir ja bekannt, aber dass sich Pferde auch in die Kurve legen lassen ...

Dann dürfen die Herren wieder, jetzt heißt das Spiel calf roping. Da kann ich leider kein Bild bieten und muss den geneigten Leser auf das Kapitel 48 (Rodeo in Silverdale) vertrösten. Krönender Abschluss der Veranstaltung ist dann das bull riding. Die Pferde wackeln wenigstens nur nach oben und unten, die Rindviecher drehen sich auch noch, außerdem trampeln sie gerne mal auf einem auf dem Boden liegenden Cowboy herum. Auch hier gilt: 8 Sekunden draufbleiben, und das möglichst grazil.

Wie schnell doch 4 Stunden vorbeigehen. Bevor ich mich endgültig vom Fairground verabschiede, muss ich mir doch noch bei Lammle's Western Wear einen zünftigen Cowboyhut zulegen. Auch wenn ich darin irgendwie etwas verkleideter aussehe, als diese Damen ...

 

Damit auch wirklich alle Leute in Calgary merken, dass gerade Stampede ist, haben sich die Organisatoren eine Art Wanderzirkus einfallen lassen. Auf den Parkplätzen verschiedener Einkaufszentren werden Showbühnen mit Live-Musik, Hüpfburgen für die Kids und jede Menge Pavillons aufgebaut. Da gibt es (fer umme!) sogenannte Stampede breakfasts. Wer die Geduld mitbringt, sich 20 Minuten in die Schlange zu stellen (derweil er eine Zeitung, einen Fruchtzwerg und Süßigkeiten in die Hand gedrückt bekommt), bekommt Flapjacks (dicke Pfannekuchen) mit Ahorn-Sirup, sogenannte Sausages (gebratenes Hamburgerfleisch) und Rührei. Dazu ein Tütchen Orangensaft und auf Wunsch eine Kelle dicke Bohnen. Nicht schlecht! 

Für Unterhaltung sorgt der weltberühmte Lou Palmer, dessen Lassoschwingkünste allgemein komplett ignoriert werden, bis er auf die Idee kommt, sein Lasso um Kids herum zu werfen, jetzt hat er immerhin zwei Zuschauer - mir hat er irgendwie Leid getan. 

  

Während wir uns also bemühen, die herangekarrten Vorräte zu vernichten, schaue ich mit einem Auge immer auf die Organisation (ist wohl so eine Art Berufskrankheit). So wird das Rührei in Kochbeuteln angeliefert, einfach nur in heißes Wasser geworfen und dann verteilt - clever. Während wir in Deutschland mühsam von Hüpfburgen zu aufblasbaren Riesenrutschen über gehen, sind die Kids hier anspruchsvoller. Sie bekommen Hindernisparcours aufgeblasen oder erkletterbare Schatzinseln etc., mal sehen, wie lange es dauert, bis wir sowas zu sehen bekommen... 

Wer noch mehr lesen möchte: Kanadas Cowboys und der milde Westen von Christine Sadler

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* Nur Touristen sprechen Yahoo "ja-huu" aus. Als richtiger Cowboy ruft man "jiiee-haaw" und begrüßt sich auf der Straße mit "howdy" - fast wie in Australien.